Wie liefen die Olympischen Spiele im Altertum ab? Wie wurden sie in der Neuzeit wiederbegründet? Und welche Rolle spielt die Wissenschaft beim größten Sportereignis der Welt?
Die Olympischen Spiele, die seit 1896 (fast) alle vier Jahre stattfinden, ziehen mit ihrer langen und glanzvollen Tradition die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich. Aber wie haben die Spiele in der Neuzeit angefangen? Von wo ist der olympische Gedanke plötzlich aufgetaucht? Und wie wurden sie zu einem derart zentralen Ereignis der modernen Kultur?
Die Spiele entstanden im Rahmen von sportlichen Wettkämpfen, die im alten Griechenland zu Ehren der Götter ausgetragen wurden. In der griechischen Kultur gab es viele Götter, denen Einfluss auf alle Lebensbereiche zugeschrieben wurde – von Naturerscheinungen bis zu den Handlungen der Menschen selbst, wie Liebe, Krieg und Kunst. Die Menschen wollten immer die Götter zufriedenstellen: Sie bauten ihnen prächtige Heiligtümer und brachten ihnen Opfer dar, in der Form von Feiern, bei denen Fleisch gebraten wurde, das am Ende die Menschen – und nicht die Götter – verzehrten. Zudem veranstalteten sie für die Götter Sportwettkämpfe.
Manche davon waren lokale Wettkämpfe in einem Dorf oder einer Stadt. Andere wurden weltweit abgehalten, oder genauer gesagt in der ganzen griechischsprachigen Welt. Deshalb wurden sie Panhellenische - also gesamtgriechische – Spiele genannt.
Es gab vier Panhellenische Spiele: die Nemeischen Spiele, die alle zwei Jahre zu Ehren des Göttervaters Zeus stattfanden; die Isthmischen Spiele, die alle zwei Jahre zu Ehren des Meeresgottes Poseidon stattfanden und nach dem Isthmus benannt waren, der natürlichen Landenge, die die Halbinsel Peloponnes mit dem restlichen Griechenland verbindet; die Pythischen Spiele, die alle vier Jahre zu Ehren des Gottes Apollon in der Stadt Delphi stattfanden und so hießen, weil Delphi der Ort war, wo Apollon der Legende nach die furchtbare Schlange Python besiegte; und die wichtigsten von allen – die Olympischen Spiele, die alle vier Jahre stattfanden, ebenfalls zu Ehren von Zeus.
Die Olympischen Spiele wurden in der Stadt Olympia ausgetragen. Sie liegt übrigens nicht in der Nähe des Bergs Olymp, der nach der Mythologie der Sitz der zwölf wichtigsten Götter war, auch Olympische Götter genannt. In Olympia stand das prächtige Heiligtum des Zeus, das als eines der sieben Weltwunder der Antike gilt.
Olympia: die Wiege der Spiele | Foto: Sahara Prince, Shutterstock
Ruhm und ein Olivenkranz
Die Tradition der Olympischen Spiele begann vermutlich ungefähr im Jahr 776 vor der Zeitrechnung. Anfänglich umfassten sie nur einen einzigen Bewerb: einen Wettlauf über die Distanz von einem Stadion, etwas weniger als 200 Meter. Von damals ist das Wort Stadion als Bezeichnung für eine Stätte tradiert, an der Wettläufe abgehalten werden, und in der Folge allgemein für eine Austragungsstätte sportlicher Wettkämpfe. Der griechische Gelehrte Eratosthenes aus Alexandria, der vor mehr als 2000 Jahren den Erdumfang berechnete, stützte sich bei seinen Kalkulationen darauf, dass die Distanz zwischen Alexandria und Syene mit 5000 Stadien gemessen wurde.
Später wurden in die Olympischen Spiele noch einige weitere Laufstrecken aufgenommen, neben einem Wettlauf, bei dem die Teilnehmer mit einem Schild und Waffen ausgerüstet waren. Dann kamen Boxen und Ringen, Wagenrennen und schließlich der Pentathlon – der Fünfkampf – hinzu, zu dem neben Laufen und Ringen auch Weitsprung, Speerwerfen und Diskurswerfen gehörten.
An den Spielen durften nur Männer teilnehmen, und sie mussten Griechen und frei sein – also keine Sklaven. Oft wurden die Wettkämpfe nackt ausgetragen. In den Geschichtsbüchern sind trotzdem einige Frauen dokumentiert, die bei olympischen Bewerben siegten, weil bei den Wagenrennen nicht der Lenker zum Sieger erklärt wurde, sondern der Besitzer oder die Besitzerin des Wagens.
Der Preis für den Sieger war keine Medaille, sondern ein Kranz aus Zweigen eines Olivenbaums, der im Hof des Zeus-Heiligtums in Olympia wuchs. Es gab keine Preise für den zweiten und dritten Platz – nur für die Sieger. Bei den Pythischen Spielen, die zu Ehren Apollons ausgetragen wurden, erhielten die Sieger einen Kranz aus den Zweigen des Baums, der diesem Gott heilig war, des Lorbeerbaums. Daher stammt der Ausdruck „sich auf seinen Lorbeeren ausruhen“, der eine Person beschreibt, die schon etwas Großes erreicht hat und keine weiteren Errungenschaften anstrebt.
Olympischer Friede in der griechischen Welt zur Zeit der Spiele. Modell des antiken Olympia im Britischen Museum | Foto: aus Wikipedia
Ein weiteres interessantes Thema, das mit den Olympischen Spielen im Altertum verbunden ist, ist die Vereinbarung, alle Kriege in der griechischen Welt auszusetzen, um es den Sportlern zu ermöglichen, sicher nach Olympia und wieder nachhause zu kommen. Einige Monate vor den Spielen zogen Boten von Olympia in alle Städte und Dörfer, um das Datum der Spiele und den Beginn der Waffenruhe zu verkünden.
Die Römer, die nach dem Niedergang der Griechen die Vormachtstellung in der Welt übernahmen, setzten viele der griechischen Traditionen fort, darunter auch die Olympischen Spiele, die allen freien Bürgern des gesamten römischen Kaiserreichs offenstanden. Im 4. Jahrhundert setzte sich in Rom das Christentum durch, und gegen Ende des Jahrhunderts beschloss Kaiser Theodosius I., die hellenische Religion zu verbieten, und mit ihr die „dekadenten“ Gebräuche, die sie begleiteten, wie etwa Sportbewerbe (unbekleidet!), was das Ende der Olympischen Spiele bedeutete. So versank eine lange und glanzvolle Tradition, die sich über fast 1200 Jahre erstreckte.
Die Wiederauferstehung einer alten Kultur
So vergingen rund 1000 Jahre, in denen sich das christliche Europa von den alten Traditionen Griechenlands entfernte. Einen der ersten Keime einer Veränderung brachte die Erfindung des Buchdrucks, oder genauer die Weiterentwicklung der Erfindung durch Johannes Gutenberg. Binnen relativ kurzer Zeit wurden Bücher zu einem sehr weit verbreiteten und billigen Gut, das Lesen wurde vielen zugänglich, und mit der Zeit erschienen auch viele übersetzte Bücher. So begegneten immer mehr Menschen den Schriften der herrlichen griechischen Kultur, und dabei auch dem Gedanken der Olympischen Spiele, die für einige Monate die Welt einen.
Einer, der von den Geschichten über das alte Griechenland besonders stark beeinflusst wurde, war der 1806 geborene griechische Journalist und Dichter Panagiotis Soutsos. Das Griechenland des 19. Jahrhunderts war ein armes, von häufigen Kriegen geplagtes Land, und Soutsos hoffte, dass die Wiederbelebung der Olympischen Spiele ein ausgezeichnetes Mittel sein würde, um die griechische Kultur zu ihrer einstigen Größe zurückzuführen. Soutsos veröffentlichte den Gedanken zunächst in einem Gedicht, dann in einem Zeitungsartikel, in dem er die Wiederbelebung vorschlug, und schließlich in einem Brief an König Otto, oder Othon, (1815-1867), den ersten Herrscher des unabhängigen Griechenland. Doch der König, ursprünglich ein bayerischer Prinz, der mit Zustimmung der Großmächte eingesetzt wurde, war in Kriege und Auseinandersetzungen verstrickt und scheute auch die hohen Kosten einer Wiederbegründung der Olympischen Spiele in seinem armen Land, sodass er untätig blieb.
Hier trat der Immobilien-Tycoon Evangelos Zappas auf den Plan, ein Grieche, der sein Vermögen in Rumänien gemacht hatte. Als Zappas von Soutsos‘ Idee zur Wiederbelebung der Olympischen Spiele hörte, finanzierte er den Bau eines neuen Stadions in Athen, und 1859 fanden dort die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt, mehr als 1400 Jahre, nachdem Kaiser Theodosius sie abgeschafft hatte.
Eine Eintrittskarte zu den Olympischen Spielen 1859. Ein Abenteuer ohne Fortsetzung | Foto: Wikipedia, gemeinfrei
Zur selben Zeit lebte am anderen Ende von Europa ein weiterer Verehrer der griechischen Kultur der Antike, Dr. William Penny Brookes, der Arzt des Städtchens Much Wenlock im Osten Englands. Brookes war auch Richter, Apotheker, Pflanzenforscher und Pädagoge. Er gründete in Much Wenlock eine Art Jugendbewegung. Diese umfasste auch eine Sportgruppe, die er die „Olympische Klasse“ nannte.1850 organisierte er einen Sportwettkampf für die Jugend der Umgebung und nannte die Veranstaltung „Olympische Spiele von Wenlock“. Als er in der Zeitung von den wiedererschaffenen Olympischen Spielen in Griechenland las, begeisterte sich Brookes dafür und trat in eine Korrespondenz mit den Organisatoren. So kam es, dass die Sieger der Wettbewerbe von 1859 außer dem traditionellen Kranz auch einen Preis von zehn Pfund Sterling erhielten, eine Gabe des Olympischen Komitees von Wenlock in England.
Eine Statue von Pierre de Coubertin. Die Vision eines einzelnen Mannes | Foto: JJonahJackalope, Wikipedia
Der französische Baron
Die Olympischen Spiele von 1859 waren kein großer Erfolg. Sie zogen kein Massenpublikum an, und es gab niemanden, der die Tradition fortgesetzt hätte: Zappas verstarb 1865, und Soutsos drei Jahre danach. Auch die unentwegten Bemühungen von Brookes, die Spiele von Wenlock zu einem nationalen oder internationalen Ereignis zu machen, schlugen fehl. Einer der Gründe dafür war sein Beharren darauf, dass die Spiele für alle offen sein müssten, ohne Unterschied der gesellschaftlichen Stellung, eine Forderung, die zu seiner Zeit in England wenig Gefallen fand.
Vier Jahre nach jenen Spielen, im Jahr 1863, wurde in der französischen Hauptstadt Paris Pierre de Coubertin geboren, der mit seinem Adelsprädikat besser bekannt ist: Baron Pierre de Coubertin. Wie man dem Titel entnehmen kann, stammte er aus einer sehr reichen und angesehenen Familie. Er war auch ein ausgezeichneter Schüler, sodass ihm jede Karriere offen stand: Militär, Politik, Geschäfte und anderes mehr. Aber ihn zog gerade das Erziehungswesen an, und besonders die Sporterziehung.
De Coubertin dachte, dass die Erziehung der Kinder zur körperlichen Ertüchtigung für sie selbst und auch für die Gesellschaft sehr wichtig wäre, und war sehr beeindruckt von den umfangreichen sportlichen Aktivitäten, die an den englischen Schulen üblich waren. 1890 traf er bei einem Besuch in England Dr. Brookes, der schon 81 Jahre alt war, und war sehr angesprochen von dessen unverwirklichten Plänen, die Spiele von Wenlock zu einem internationalen Ereignis im Geiste der Olympischen Spiele der Antike zu machen. Als er nach Paris zurückkehrte, setzte de Coubertin das Geld und die Verbindungen seiner Familie ein, um eine Vereinigung mit Vertretern aus aller Welt zu gründen. Sie bekam den Namen „Internationales Olympisches Komitee“ und stellte sich die Aufgabe, die Spiele wiederzubegründen.
Sechs Jahre später, im Jahr 1896, wurden in Athen die erneuerten Olympischen Spiele eröffnet. An ihnen nahmen Sportler aus 14 Ländern teil, die in neun Disziplinen antraten. Die Bedingungen waren ganz anders als heute üblich. Gymnastikbewerbe zum Beispiel fanden in einem offenen Stadion statt, und die Schwimmbewerbe im Meer, zwischen den Booten. Die Sportler waren alle männlich, denn de Coubertin war der Ansicht, dass Sport für junge Mädchen ungesund wäre.
Im Gegensatz zum ersten Versuch fanden die Olympischen Spiele dieses Mal eine Fortsetzung. Sie wurden nach vier Jahren wieder ausgetragen, diesmal in Paris, mit vielen weiteren Disziplinen. Ein Teil davon ist bis heute im olympischen Programm geblieben, wie etwa Segeln und Rudern, und ein anderer Teil nicht – zum Beispiel Tauziehen, Cricket und Rugby. Der Fortschritt ließ sich nicht aufhalten, und in einem Teil der Disziplinen wurden die Bewerbe auch für Frauen geöffnet.
Eröffnungszeremonie der Spiele in Rio 2016. Großes Geld und Show | Foto: Agência Brasil, aus Wikipedia
Die Profis kommen
Im Laufe der Jahre entwickelten sich die Olympischen Spiele immer weiter, bis zu ihrer gegenwärtigen Stellung als größte Wettbewerbsveranstaltung der Welt. Sie legten Symbole fest, wie die olympische Flamme und die Flagge mit den fünf Ringen, ein Motto (Schneller, höher, stärker) und einen Zeitplan in der Länge von genau 16 Tagen. Nach und nach wurde auch der ursprüngliche amateurhafte Geist durch sportliche Professionalität und durch eine gewaltige Einflusswirkung abgelöst.
Ab dem Beginn der 50er Jahre, und besonders seit Helsinki 1952, wurden die Olympischen Spiele viel stärker durchorganisiert, sie waren etabliert und vor Allem – ein wirtschaftliches Großereignis. Verursacht wurde die Veränderung hauptsächliche durch zwei Faktoren. Erstens waren die Olympischen Spiele in den ersten Jahrzehnten nur Amateuren offengestanden, die nicht vom Sport lebten. Mit der Zeit wurden sie zu einer immer professionelleren Veranstaltung, und heute wird man auf dem Siegerpodest nur sehr selten Sportler finden, die nicht ihr ganzes Leben dem Sport widmen. Der zweite Faktor ist das Fernsehen, das schon 1936 auf den Plan trat, aber erst in den 50er Jahren verbreitet genug war, um die Spiele in jedes Heim zu bringen, zunächst im Westen und dann in der ganzen Welt.
Mit den Jahren und wegen des großen öffentlichen Interesses wurden die Olympischen Spiele zu einem Geschäft, das Milliarden Dollar umsetzt, über Senderechte, Werbung, Sponsorengelder und Investitionen in die Infrastruktur der Gastgeberstädte. Und wo es um Geld, Ruhm, Nationalstolz und Einfluss geht, wollen alle erfolgreich sein – und zu diesem Zweck spannen sie die Wissenschaft ein.
Die Wissenschaft bei den Olympischen Spielen
Die Spiele von Tokio 2020 sind die ersten der Neuzeit, die wegen einer weltweiten Pandemie verschoben wurden. Seit vor rund eineinhalb Jahren die COVID-19-Pandemie in unser Leben eingefallen ist, gab es Aufrufe, die Spiele ganz abzusagen. Nachdem entschieden worden war, sie um ein Jahr zu verschieben, wurden einige Konzepte für die Zuschauerpräsenz bei den Spielen vorgelegt, und schließlich wurde beschlossen, dass erstmals in der Geschichte die olympischen Spiele ganz ohne Zuschauer ausgetragen würden.
Aber das ist nicht das erste Mal, dass eine Seuche die Spiele behindert. Erst vor fünf Jahren standen die Spiele in Rio de Janeiro 2016 im Schatten des Zika-Fiebers, einer Krankheit, die durch von Mücken übertragene Viren ausgelöst wird. Die Krankheit wird nicht durch die Atemluft von Mensch zu Mensch übertragen (aber sehr wohl durch Geschlechtsverkehr) und verursacht bei den meisten der Infizierten keine Symptome. Die Hauptgefahr betrifft die Ungeborenen: Wenn eine schwangere Frau durch das Virus infiziert wird, kann beim Fötus eine Störung der Hirn-Reifung auftreten, die in manchen Fällen zu schweren Behinderungen und sogar zum Tod des Fötus führen kann. Auch vor den Spielen 2016 gab es Aufrufe von Experten, die Spiele zu verschieben, und ein Teil der Sportler verzichtete aus Furcht vor der Seuche auf die Teilnahme.
Auch die Spiele von Rio waren nicht die ersten, die von einer Seuche überschattet waren. Die Olympischen Spiele in Antwerpen 1920 fanden nach dem Ersten Weltkrieg und in der Endphase der Spanischen Grippe statt, der Dutzende Millionen Menschen zum Opfer fielen. Obwohl die Pandemie anscheinend die Wettkämpfe nicht direkt beeinträchtigte, verzögerte sie die Restaurierung der Stadt von den Kriegsschäden und den Bau der olympischen Stätten. So war etwa das Schwimmbecken eine improvisierte Erweiterung von Gräben, die aus dem Krieg stammten.
Leistungsverbesserung
Die Nutzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen kann Sportler zu besseren Leistungen führen. Ein Beispiel dafür sind die Sprungdisziplinen. Manchmal ergibt sich die beste Sprungtechnik aus der Intuition. Beim Abschluss des Weitsprungs zum Beispiel ist es günstig, die Beine und auch die Arme so weit wie möglich nach vorne zu strecken, um den Schwerpunkt des Körpers nach vorne zu ziehen. Wenn man einen modernen Sportler mit der Malerei auf einem antiken griechischen Krug vergleicht, erkennt man, dass die Technik sehr ähnlich ist. Im alten Griechenland hat man nicht nur dieses Prinzip verstanden, sondern sich seiner auch bedient, um die Ergebnisse zu verbessern: Die Springer hielten metallene Gewichte in den Händen, um den Vorwärtszug auf den Körper zu verstärken.
Die Technik des Weitsprungs hat sich fast nicht verändert. | Foto: Denis Kuvaev, Shutterstock, von einer altgriechischen Keramik
In anderen Fällen ist die beste Sprungtechnik viel weniger selbstverständlich. Bis vor rund 50 Jahren waren die üblichen Hochsprungtechniken die Bauchrolle oder der Scherensprung, wobei der Springer sein Gesicht beim Absprung der Latte zuwendet und diese zunächst mit dem einen und dann dem anderen Bein überquert. Doch in den 60er Jahren entwickelte der amerikanische Springer Dick Fosbury eine neue Technik – einen Rückwärtssprung, der es erlaubte, die Muskelkraft besser auszunutzen und einen Hochsprung auszuführen, ohne dass der Schwerpunkt des Körpers die Höhe der Latte erreicht. Diese seltsame Technik ermöglichte es ihm, bei den Olympischen Spielen in Mexiko City 1968 die Goldmedaille zu gewinnen, und bald darauf übernahm die ganze Welt seinen Stil. Schon seit vielen Jahren ist der „Fosbury-Flop“ der einzige Stil, der bei Hochsprungbewerben zu sehen ist.
Vorwärts-Impuls durch einen Rückwärtssprung: die Wissenschaft des Fosbury-Flops (englisch)
Auch in einer anderen Sprungdisziplin, dem Stabhochsprung, wird von der Wissenschaft ausgiebig Gebrauch gemacht, um zu berechnen, wo genau und in welchem Winkel der Springer den Stab halten soll, wo er ihn auf den Boden aufsetzen soll, und anderes mehr. Und die Sprungdisziplinen sind nur eines von vielen Beispielen: In vielen Sportarten, darunter Laufen, Schwimmen, Gymnastik und andere, verwenden die Aktiven Computermodelle, um jede Bewegung zu planen und zu trainieren und durch die optimale Technik das Beste aus ihrer Muskelkraft herauszuholen.
Technik und Material
Neben dem Ausfeilen der Techniken der Sportler selbst werden viele wissenschaftliche und technologische Anstrengungen in die Verbesserung ihrer Ausrüstung und Bekleidung investiert, um ihnen zu besseren Leistungen zu verhelfen. Eines der bekanntesten Beispiele sind die Schwimmanzüge aus Polyurethan, die bei den Spielen in Peking 2008 zur Verwendung kamen und den Schwimmern halfen, im olympischen Becken nicht weniger als 25 Weltrekorde aufzustellen. Die Anzüge wurden von mehreren Firmen unter der Führung von Speedo entwickelt, wobei sie die Haut eines Hais imitierten und Geräte wie einen Windkanal verwendeten. Die Anzüge bestehen aus einem besonders hydrophoben Material, das also das Wasser vom Schwimmer oder der Schwimmerin abweist und die Reibung verringert. Sie sind auch relativ steif und sehr glatt, ohne Nähte und Falten, vor Allem aber sind sie aus geschäumtem Material hergestellt, das winzige Gasblasen enthält, die den Auftrieb der Schwimmer im Wasser etwas erhöhen. Der Anzug verringerte die Reibung, den Wasserwiderstand und weitere Kräfte, die im Wasser auf die Schwimmer wirken, und ermöglichte eine beeindruckende Verbesserung der Ergebnisse. So beeindruckend sogar, dass der Weltschwimmverband nach kurzer Zeit beschloss, solche Anzüge bei Wettkämpfen zu verbieten.
Designed wie die Haut eines Hais. Der Streit um die neuen Anzüge noch vor den Spielen in Peking:
Auch das Design und die Planung des Beckens selbst sind von großer Bedeutung. So fand man heraus, dass eine Tiefe von drei Metern garantiert, dass die von den Schwimmern erzeugten Wellen nicht vom Beckengrund reflektiert werden. Auch die Beckenwände sind so geplant, dass sie die meisten Wellen absorbieren, um Strömungen zu verhindern, die den Schwimmern entgegenwirken.
In stillem Wasser schwimmt man schnell. Auch die Planung des Beckens soll Höchstleistungen garantieren. Das olympische Becken in Rio 2016 | Foto: Leonard Zhukovsky, Shutterstock
Der Schwimmsport ist nur ein Beispiel von vielen. Werkstofftechnik und fortgeschrittene Technologien spielen in vielen Sportzweigen eine zentrale Rolle. Sie liefern fast alles, von schweißabsondernder Bekleidung bis zu Booten und Surfbrettern, von effizienten und angenehmen Laufbahnen bis zu starken Stäben für den Stabhochsprung, und von leichten und festen Rennrädern bis zu Sonnenbrillen.
Einen besonderen Platz in der Technologie nehmen die Schuhe ein, besonders die Laufschuhe für die verschiedenen Distanzen. In den letzten Jahren entspann sich eine heftige Debatte um die neuen Laufschuhe der Marke Nike, deren einzigartige Sohle besonders elastisch ist und den Energieverlust beim Kontakt zwischen dem Schuh und dem Boden vermindern soll. Die Gegner der Verwendung dieser Schuhe behaupten, dass sie den Läufern, die sie tragen, einen unfairen Vorteil verschaffen und dass der Wettkampf nicht mehr zwischen Sportlern ausgetragen würde, sondern zwischen Schuhherstellern. Manche nennen solche Technologien sogar „mechanisches Doping“ und meinen, dass es zwischen ihrer Verwendung und dem Gebrauch von leistungssteigernden Drogen keinen wesentlichen Unterschied gebe.
Legitime Leistungssteigerung? Ein Artikel des „Wall Street Journal“ über die Debatte um die leistungsverbessernden Schuhe (englisch):
Verbotene Substanzen
Das große Geld, das Streben nach Ruhm und der starke Wille, bei den Olympischen Spielen zu siegen, verführen nicht wenige Sportler zum verbotenen Einsatz von leistungssteigernden Substanzen oder Behandlungen. Diese Substanzen lassen sich in einige allgemeine Gruppen unterteilen: Stimulanzien, die auf das Nervensystem wirken und das Müdigkeits- und Schmerzgefühl verringern; wachstumsfördernde Substanzen, wie anabole Steroide, die die Aktivität von natürlichen Hormonen nachahmen und den Sportlern helfen, ihre Muskel- und Knochenmasse zu vergrößern; und blutverbessernde Präparate, die es dem Körper ermöglichen, den Muskeln mehr Sauerstoff zuzuführen und deren Funktion zu verbessern.
Eine der Substanzen, die das bewirken, ist das Hormon Erythropoietin, kurz EPO, das die Produktion von roten Blutkörperchen anregt. Die wohl berühmteste Sportlerin, die in die EPO-Falle getappt ist, war die amerikanische Leichtathletin Marion Jones, die bei den Spielen in Sydney 2000 drei Gold- und zwei Bronzemedaillen gewann. Jones wurde nie bei einer Doping-Kontrolle erwischt, aber Personen, die mit ihr gearbeitet hatten, gaben einige Jahre später zu, dass sie ihr EPO verabreicht hatten. Jones wurde einvernommen und stritt zunächst alles ab, doch 2007 brach sie zusammen und gestand. Alle Medaillen wurden ihr aberkannt, und sie wurde sogar zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt – nicht eigentlich wegen des Gebrauchs verbotener Substanzen, sondern weil sie beim Polizeiverhör gelogen hatte.
Verlor alle Medaillen wegen verbotener Substanzen. Marion Jones gesteht unter Tränen den Gebrauch von EPO (englisch)
Die meisten leistungssteigernden Substanzen können relativ leicht nachgewiesen werden, weil sie sich in Stoffe aufspalten, die im Blut gespeichert oder im Urin ausgeschieden werden. Eine verbotene Methode, deren Aufdeckung viel schwieriger ist, ist Eigenblutdoping: Der Sportler „spendet Blut“ und bekommt vor dem Wettkampf eine Transfusion seines eigenen Bluts, mit einer erhöhten Konzentration von roten Blutkörperchen. So kann ohne Beteiligung körperfremder Stoffe die Sauerstoffzufuhr zu den Muskeln künstlich gesteigert werden. Auch solche Machenschaften können durch bestimmte Kontrollen aufgedeckt werden, zum Beispiel durch die Messung des Ausstoßes von Sauerstoff im Verhältnis zu Kohlendioxid in der Atemluft.
Soweit bekannt, war der prominenteste Sportler, der diese Methode verwendete, der Radrennfahrer Lance Armstrong, der besonders durch seine sieben Siege bei der Tour de France berühmt wurde, aber im Jahr 2000 auch eine olympische Bronzemedaille bei den Spielen in Sydney gewann. Am Ende wurde auch er, wie Jones, erwischt, nachdem Komplizen über ihn aussagten, und alle seine Titel wurden ihm aberkannt.
Eigenblutdoping trug zu seiner glänzenden Karriere bei und machte sie zunichte. Lance Armstrong (im gelben Trikot) siegt bei der Tour de France 2004 | Foto: Marc-Pagani Photography, Shutterstock
Manchmal entspringt die Initiative zum Gebrauch verbotener Substanzen nicht der individuellen Entscheidung eines einzelnen Sportlers, sondern der gezielten Politik eines Staates, der daran interessiert ist, in der prestigeträchtigen sportlichen Arena zu nationalen Errungenschaften zu gelangen. So kam es, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur 2019 beschloss, für vier Jahre alle russischen Sportler für internationale Bewerbe zu sperren, nachdem eine Untersuchung ergeben hatte, dass die Behörden des Landes vorsätzlich die Ergebnisse von Doping-Kontrollen verschleiert hatten. Am Ende wurde ein Kompromiss erreicht, durch den rund 300 russische Sportler, die nicht des Dopings überführt worden waren, doch antreten konnten, aber unter der Flagge des Russischen Olympischen Komitees statt unter der Flagge Russlands.
Auf dem Gebiet der verbotenen Substanzen findet ständig eine Art Rüstungswettlauf statt, zwischen Wissenschaftlern, die immer effizientere und raffiniertere leistungssteigernde Stoffe entwickeln, und den Behörden, die den neuen Substanzen nachspüren, um deren Gebrauch zu verbieten und Methoden zu deren Nachweis zu finden. Die nächste Herausforderung auf diesem Gebiet ist das so genannte Gendoping, also eine Gentherapie mit dem Ziel, gewisse Eigenschaften zu verbessern, etwa durch die Produktion von roten Blutkörperchen, den Aufbau eines Muskels oder die Neubildung von Blutgefäßen. Das sind Behandlungen, die sehr schwer nachzuweisen sind, und sie werfen ethische und philosophische Fragen darüber auf, was verboten ist, was erlaubt ist und was Chancengleichheit im Sport überhaupt bedeutet.
Fotografieren und messen
Der technologische Fortschritt erlaubt es nicht nur, die Leistungen der Sportler zu verbessern, sondern trägt auch dazu bei, die Olympischen Spiele – und natürlich auch andere Sportereignisse – fairer zu machen. Besonders rasche Kameras ermöglichen es, im „Fotofinish“ zu entscheiden, wer als erster die Ziellinie erreicht hat, mit einer Genauigkeit von einer Hundertstelsekunde. Beim Weitsprung wurde in den letzten Jahren das Messband in der Sandgrube durch eine moderne, präzise optische Apparatur ersetzt, und eine Kombination von Videotechnologie und Datenverarbeitung erlaubt es, die Entscheidung von Schiedsrichtern zu überprüfen und manchmal zu korrigieren, zum Beispiel die VAR-Technologie beim Fußball oder die „Hawk-Eye“-Technologie beim Tennis und bei anderen Sportzweigen.
Die hohe Bildqualität erlaubt es auch, die Übertragung der Spiele zu verbessern. Die Zuschauer vor ihren hochauflösenden Fernsehgeräten zuhause können heute jeden Schweißtropfen auf dem Körper der Sportler erkennen und die sportlichen Leistungen so miterleben, als säßen sie viel näher am Geschehen als das Publikum im Stadion oder in der Halle. Und dank der fortgeschrittenen Technologie der Smartphones müssen die Zuseher nicht einmal zuhause sein, sondern können die olympischen Ereignisse fast von jedem Ort aus verfolgen.
War der Ball im Out? Vielleicht doch nicht: eine kurze Erläuterung der Technologie hinter dem „Hawk-Eye“-System (englisch):
Forschungsfeld
Die Wissenschaft fußt natürlich auf der Forschung, und auch die Olympischen Spiele selbst sind ein fruchtbares Feld für wissenschaftliche Untersuchungen. Eine Forschungsarbeit, die zu Jahresbeginn veröffentlicht wurde, untersuchte etwa die oben erwähnten modernen Schuhe und zeigte, dass sie tatsächlich viel zur Verbesserung der Leistungen im Langstreckenlauf beisteuern.
Eine 2017 veröffentlichte israelische Forschungsarbeit untersuchte die Kämpfe um die Bronzemedaille in Judo-Bewerben. In so einem Kampf tritt der Verlierer des Halbfinales gegen den Sieger der Trostrunde an, in der jene Judokas aufgefangen wurden, die in der ersten Runde verloren haben. Die Forscher unter der Führung von Danny Cohen-Zada von der Ben-Gurion-Universität und Ze‘ev Shtudiner von der Universität Ariel wollten prüfen, ob es einen Unterschied bei den Erfolgschancen gibt, wenn ein Sportler nach einer Niederlage oder aber nach einem Sieg in den Kampf geht. Sie fanden heraus, dass bei den Männern in zwei Dritteln der Kämpfe um die Bronzemedaille der Judoka gewann, der aus der Trostrunde aufgestiegen war, also nach einem Sieg antrat, während bei den Frauen die Siegeschancen gleich verteilt waren. Der Grund dafür ist nach der Einschätzung der Forscher ein Unterschied in der Konzentration des männlichen Hormons Testosteron nach einer Niederlage oder einem Sieg.
Vor den Spielen in Rio de Janeiro 2016 veröffentlichte die Zeitschrift „Nature“ eine Übersicht über Forschungsarbeiten, die sich mit dem olympischen Sport befassten, und daraus ging hervor, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Spielen über die Jahre ständig zugenommen hat. Andererseits entfallen auf dieses Forschungsgebiet, auch am Höhepunkt des wissenschaftlichen Interesses für den olympischen Sport, nur rund zwei Hundertstel Prozent der weltweiten Forschungstätigkeit. Möglicherweise wird dieser Anteil im Gefolge der gegenwärtigen Spiele in Tokio etwas steigen, durch Arbeiten, die die Auswirkungen der Verschiebung der Spiele um ein Jahr, des Wettkampfs vor leeren Zuschauertribünen, der Isolation zwischen den Bewerben und natürlich der Infektion durch das Corona-Virus bei Sportveranstaltungen untersuchen werden.