Von den Viren bis zum Leistungssport. Die Gendoping-Techniken stecken noch in den Kinderschuhen, aber sie drohen schon in die olympischen Disziplinen einzudringen. Warum lösen sie Befürchtungen aus, und warum knüpfen umgekehrt manche an sie große Hoffnungen?
Während die Sprinter für den Moment trainieren, in dem sie bei den Olympischen Spielen aus den Startblöcken schnellen, findet hinter den Kulissen ein nicht weniger spannender Wettlauf statt. Die Teilnehmer: Wissenschaftler und Ärzte, die neue Methoden und neue Substanzen zur Verbesserung von sportlichen Leistungen entwickeln, treten gegen Behörden und Ärzte an, die darum ringen, diese künstlichen Eingriffe zu erkennen, die die Gesundheit der Sportler gefährden können. Das gegenwärtige Schlagwort in diesem Aufputschmittel-Wettstreit ist Gendoping – eine Technik, mit der die natürlichen Fähigkeiten des Körpers durch Manipulationen am Erbgut selbst gestärkt werden sollen.
Die Idee des Gendopings entstand schon 1970 im Gefolge eines neuartigen Zugangs, der sich in der Medizin und in der Forschung entwickelt hatte. Der Grundgedanke war, menschliche Erkrankungen mit genetischem Hintergrund dadurch zu behandeln, dass eine „gesunde“ Version des defekten Gens in die Körperzellen eingebracht wird. Diese Methode wurde „Gentherapie“ genannt.
Das Gebiet der Gentherapie basiert auf der Idee, dass ein defektes Gen, das eine Krankheit verursacht, repariert werden kann. Man braucht nichts anderes zu tun, als das intakte Gen in ein neutralisiertes Virus einzusetzen und dann das Virus seine Wirkung tun zu lassen, also die Körperzellen zu infizieren und so das gesunde Gen in sie einzuschleusen. Den Rest erledigt der Körper von selbst.
Das hört sich einfach an, aber in der Praxis handelt es sich um eine sehr komplizierte Prozedur, die ein tiefes Verständnis aller Auswirkungen des Einführens eines fremden Gens in unseren Körper und der Störung des intrazellulären Gleichgewichts erfordert. Infolge gescheiterter Versuche, die sogar zum Tod von Patienten bei klinischen Experimenten führten, konnte die Gentherapie sich nicht als führende Heilmethode durchsetzen.
Obwohl es bis zum praktischen Einsatz der Gentherapie noch ein langer Weg ist, besteht die Befürchtung, dass Sportler die Gentherapie-Technologien zur Verbesserung ihrer Leistungen benutzen könnten. Deswegen hat die Antidoping-Weltagentur schon 2003 das Gendoping in die Liste der im Leistungssport verbotenen Verfahren aufgenommen.
Erwünschte Gene
Manche glauben, dass die gesamte Welt des Leistungssport binnen nur fünf bis zehn Jahren zum Gendoping als Teil der routinemäßigen Athletenausbildung übergehen wird. Die Gene, die zu den Stars des Gendopings zählen könnten, sind jene, die mit Bereichen wie Muskelaufbau und -abbau, Schmerzresistenz, Blutbildung, Schmerzempfinden und Sauerstoffversorgung der Muskeln zusammenhängen.
Laboratorien, die zu diesen Kategorien gehörende Gene erforschen, schielen schon in die Richtung vieler Sportler. Dazu gehört auch das Laboratorium von Professor Lee Sweeney von der Universität Pennsylvania in den USA, der die Duchenne-Muskeldystrophie erforscht – eine Erbkrankheit, die die Funktion der Muskeln schädigt. Sweeney und seine Kollegen entdeckten, dass der genetische Defekt, der bei den Patienten auftrat, die Funktion eines wichtigen Proteins namens Dystrophin neutralisiert, das für die Muskeltätigkeit unentbehrlich ist. Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass ein bestimmtes Hormon namens IGF-1 Muskelwachstum auslöst, wenn es sich an die Muskelzellen anbindet.
Mithilfe genetischer Instrumente gelang es den Forschern, das Gen, das IGF-1 erzeugt, Mäusen einzusetzen, die Symptome wie jene der Duchenne-Erkrankung aufwiesen. Das Ergebnis waren „Schwarzenegger-Mäuse“ (benannt nach dem bekannten Bodybuilder) mit einer um 40 Prozent vergrößerten Muskelmasse. „Abgesehen davon, dass wir die Mäuse auch in fortgeschrittenem Alter (20 Monate nach Mäuse-Begriffen) heilen konnten, blieben sie kräftig und beweglich wie in ihrer Jugend“, erzählt Sweeney. Bei solchen Ergebnissen war es kein Wunder, dass Sweeney Anfragen von Sportlern bekam, die wollten, dass er auch ihnen das „Wundergen“ einsetzt.
Dieses Forschungsprojekt ist nur ein Beispiel von vielen. Forscher vom Salk-Institut für Biologische Studien in Kalifornien injizierten Mäusen ein Gen, das jenes Protein steuert, das die Fettverbrennung in der Zelle reguliert, und ermöglichten es ihnen damit, über doppelt so große Distanzen zu laufen wie gewöhnliche Mäuse. Obwohl die Forschungsarbeit ursprünglich für medizinische Zwecke gedacht war, erregt sie die Aufmerksamkeit vieler Sportler, in der Hoffnung, es diesen „Marathon-Mäusen“ gleichzutun.
Andere Gene, wie etwa Erythropoetin (EPO), das die Bildung von roten Blutkörperchen anregt, oder VGEF, das bei der Bildung neuer Blutgefäße mitwirkt, wurden ebenfalls zu prominenten Kandidaten für den Einsatz beim Gendoping. Und angesichts des raschen Fortschritts in der medizinischen und biologischen Forschung dürfte die Liste täglich länger werden.
Biologische Hacker
Die Gentechnik wird in unseren Zeiten immer billiger und gängiger, sodass schon jetzt jede Person, die über etwas Wissen und Erfahrung in der Biologie verfügt, im Internet jede benötigte Substanz bestellen und die passende Software herunterladen kann, um eigenhändig genetische Experimente zu machen. Wissenschaftler und „biologische Hacker“ erzählen von vielen Anfragen von Sportlern oder Trainern, die auf Hilfe beim Erwerb von Mitteln zum Gendoping hoffen.
Bisher wurde zwar noch kein wirkliches Gendoping im Sport dokumentiert, aber es gibt schon Zeugnisse für erste Versuche in diese Richtung. Einem Sporttrainer, der in Deutschland ertappt wurde, wird vorgeworfen, er habe versucht, einen genetischen Wirkstoff zu kaufen, der das Gen Erythropoetin (EPO) enthält. Der Wirkstoff wurde entwickelt, um bei Patienten mit schweren Krankheiten, etwa bestimmten Krebsarten oder chronischer Niereninsuffizienz, die Bildung von Blutkörperchen zu fördern. Hinweise auf die Bemühungen des Trainers, sich diesen genetischen Wirkstoff zu beschaffen, fanden sich in seinem E-Mail-Konto, und das war nicht der einzige derartige Fall: Kurz vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 produzierte ein deutsches Team eine Fernsehdokumentation über einen chinesischen Wissenschaftler, der Sportlern seine Dienste für Genmanipulationen anbot.
Rechtzeitig vorbeugen
Wenn schon Versuche zum Gendoping gestartet wurden, ist es dann vielleicht schon jemandem gelungen? Bisher gibt es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass Gendoping schon in den Leistungssport eingedrungen ist, doch auch wenn das nicht der Fall sein sollte, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es passiert. Die Antidoping-Weltagentur hat schon Wissenschaftler um ihre Mithilfe gebeten. Es soll verhindert werden, dass das Gendoping der nächste Trend bei Sportlern wird, die bereit sind, alles zu tun, um ihre Leistungen zu verbessern.
Die Entwicklung von Tests, die den verbotenen Einsatz von Gendoping aufdecken, ist keine einfache Angelegenheit, denn sie unterscheiden sich grundsätzlich von allen anderen Kontrollen, die es heute gibt. Beim Gendoping wird ein neues Gen in die Körperzellen selbst eingeschleust, und so wird es der Zelle ermöglicht, selbst Proteine und Stoffe zu erzeugen, die die Leistung des Sportlers steigern. In den meisten Fällen wird es sehr schwierig sein, zwischen den „natürlichen“, vom Körper erzeugten Proteinen und jenen, die durch das eingesetzte Gen entstanden sind, zu unterscheiden.
Die übliche Annahme ist, dass die Methoden zur Aufdeckung von Gendoping sich auf die Beobachtung des Stoffwechsels, also der Zusammensetzung der Gene und Proteine bei jedem Sportler konzentrieren und versuchen müssen, dabei ungewöhnliche Veränderungen aufzuspüren. Zugleich muss man Faktoren berücksichtigen, die vom Alter, dem Geschlecht und den physischen Fähigkeiten jedes Sportlers und jeder Sportlerin abhängen, sowie den Umstand, dass Menschen sich auf natürliche Weise verändern. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Spitzensportler von vornherein Menschen mit besten genetischen Voraussetzungen, besonderen Begabungen und außergewöhnlichem physischem Leistungsvermögen sind.
Eine 2011 veröffentlichte Forschungsarbeit schlägt einen neuen Zugang zum Aufdecken von Gendoping vor. Die Forscher konzentrierten sich auf das Aufspüren des genetischen Materials, mit dessen Hilfe das fremde Gen eingeschleust wird. Da der Aufbau dieses Materials sich vom Aufbau unserer DNA unterscheidet, konnten die Forscher ein Verfahren entwickeln, das genügend empfindlich ist, um festzustellen, ob das genetische Material im Blut des Sportlers vorkommt. Aber auch dieses Verfahren hat seine Grenzen, und nicht immer ist ein hundertprozentiger Erfolg garantiert.
Das nächste große Thema im Sport?
In der Welt des Sports und der Wissenschaft gibt es heute keine Übereinstimmung über das Gendoping. Manche denken, dass es besser wäre, Genmanipulationen zu erlauben, sodass die Sportler an ihrer Leistungsfähigkeit, an ihrem Kampfgeist und ihrem Durchhaltevermögen gemessen werden, und nicht bloß an der Nutzung ihres genetischen Potenzials. Julian Savulescu, Ethikprofessor an der Universität Oxford in England, behauptet zum Beispiel: „Genetische Verbesserung widerspricht dem Geist des Sports nicht, sie ist der Geist des Sports.“ Andere sehen hier ein ethisches Problem, das die Leistungen der Medizin und der Wissenschaft verzerrt und missbraucht und natürlich den behandelten Sportlern einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten verschafft.
Abgesehen von den ethischen Fragen bringt das Gendoping auch Gefahren mit sich. In einem Experiment, bei dem Forscher Affen das Gen EPO injizierten, stieg die Blutzellenbildung bei den Affen so stark an, dass die Forscher gezwungen waren, ihnen ständig Blutproben zu entnehmen, um einem Schlaganfall vorzubeugen. Im weiteren Verlauf des Experiments, als das Immunsystem der Affen in Aktion trat, entwickelten sie hingegen eine Anämie.
Diese Schwierigkeiten sind anscheinend auch der Grund dafür, dass es Ärzten und Wissenschaftlern noch nicht gelungen ist, die Gentherapie in der Praxis anzuwenden. Es braucht noch viel Arbeit, um konsistente Methoden für Genmanipulationen beim Menschen zu entwickeln, mit internationalen ethischen Standards. Bis es so weit ist, werden wir wahrscheinlich nicht vielen Fällen von Gendoping im Sport begegnen.