Chemie, Physik und Biologie vereinen ihre Kräfte, um uns mit den bunten Herbstfarben zu erfreuen.
Mit dem Sommerende verkündet die Natur einen neuen Modetrend – statt Grün ist jetzt eine Vielzahl herbstlicher Nuancen von Gelb und Rot angesagt. Die kürzer werdenden Tage und das allmähliche Sinken der Temperaturen signalisieren vielen Bäumen, dass sie sich dem Modegebot unterwerfen und die Farbe ihrer Blätter entsprechend ändern müssen. Der prachtvolle Anblick zeigt eine jähe Wende im Leben der Bäume an, die sich auf einen langen Winterschlaf mit minimalem Energieverbrauch vorbereiten. Die Dirigenten dieser Farbensymphonie sind vielfältige chemische Stoffe, die in dem Wandel, den die Bäume zwischen den Jahreszeiten durchmachen, eine wichtige Rolle spielen.
Die Farbe, die jeder Stoff in unserer Umgebung für uns widerspiegelt, wird dadurch erzeugt, dass ein Teil der Lichtwellen beim Auftreffen auf dem Stoff verschluckt wird, während andere Lichtwellen reflektiert und gestreut werden, sodass wir sie durch unsere Augen aufnehmen. Lichtwellen treffen mit verschiedenen Längen und Frequenzen ein, und nur ein kleiner Teil von ihnen – jene mit einer Wellenlänge zwischen 400 und 700 Nanometer – wird von unserem Gehirn als Farbe interpretiert. Sie sind es, welche das uns vertraute Farbspektrum erzeugen, von den blauen Farbtönen, die einer kurzen Wellenlänge entsprechen, bis hin zu den langwelligen roten Farbtönen.
Materie kann das Licht durchlassen, absorbieren, reflektieren und streuen (und manchmal auch Licht ausstrahlen), entsprechend ihrer chemischen Zusammensetzung und Struktur sowie der Energie der in ihr enthaltenen Elektronen. Zum Beispiel begünstigt die Molekülstruktur des Stickstoffs und Sauerstoffs in der Luft die Streuung der kurzen Wellenlängen, und deshalb erscheint der Himmel blau.
Die Farbe des Kohlenstoffs
Die meisten natürlichen Farbmoleküle, auch Pigmente genannt, enthalten hauptsächlich Kohlenstoffatome, die miteinander in einer Struktur verbunden sind, die „Konjugation“ genannt wird. Kohlenstoffatome können miteinander mehr als nur eine einfache Verbindung eingehen, und in einer Konjugation sind sie miteinander abwechselnd durch Einfach- und Doppelbindungen verbunden. Diese strukturelle Eigenschaft erlaubt es den Elektronen des Moleküls, Licht im sichtbaren Bereich zu absorbieren und zu streuen, was den Pigmenten ihre kräftige Farbe verleiht. Die exakten Wellenlängen, die das Pigment absorbiert oder streut, hängen von der Größe des Moleküls sowie wie von den zusätzlichen (Nicht-Kohlenstoff-)Atomen ab, die das Molekül bilden und dessen Eigenschaften beeinflussen können.
Bei Pflanzen kommt die grüne Farbe der Blätter von Chlorophyll-Molekülen, die in hoher Konzentration in gewissen Organellen, den Chloroplasten, vorkommen. Das Chlorophyll spielt eine zentrale Rolle im Prozess der Photosynthese: es dient als Antenne, die die Sonnenenergie einfängt und es der Pflanze ermöglicht, Kohlendioxid und Wasser in Zucker umzuwandeln.
Das Chlorophyll hat eine große zyklische Struktur (‚Makrocyclus‘), in deren Zentrum ein Magnesiumatom liegt, das die Absorption von Wellen im blauen und roten Bereich sowie deren Nutzung für die Photosynthese ermöglicht. Hingegen werden die Lichtwellen im grünen Bereich durch das Chlorophyll gestreut, was den Blättern ihre Farbe verleiht. Weil das Chlorophyll viel Energie aufnimmt, ist es nicht besonders stabil, und die Pflanzen müssen es ständig abbauen und neu produzieren, in einem Prozess, der viel Licht und eine relativ hohe Temperatur erfordert.
Der Übergang vom Sommer zum Winter ist wegen der kürzer werdenden Tage mit einer Abnahme der für die Bäume verfügbaren Energiemenge verbunden, und die Temperaturabnahme beeinträchtigt die Chlorophyll-Produktion. Die Signale aus der Umwelt lösen bei den Bäumen eine hormonelle Reaktion aus, die sie veranlasst, den Blättern, die von der Sonne nicht mehr genügend Energie bekommen, keine weiteren Nährstoffe zuzuführen. Infolgedessen zerfällt das Chlorophyll langsam, und die grüne Farbe verschwindet von den Blättern und geht in jene Gelbtöne über, die für die Periode des Blätterfalls typisch sind.
Statt des Grün sehen wir die Farben der Pigmente, die für Gelb, Orange und Rot sorgen | Bäume während des Blätterfalls | Foto: Shutterstock
Gelb wie Eidotter
Die Stoffe, die für die gelbe Farbe sorgen, gehören zur Klasse der Carotinoide, die Moleküle namens Xanthophylle enthalten. Das sind Pigmente, die in den Blättern immer vorhanden sind, doch im Sommer wird ihre Farbe durch den Überfluss an grünem Chlorophyll verdeckt.
Im Gegensatz zum Chlorophyll, das ein zyklisches Molekül ist, sind Xanthophylle aus langen Ketten von konjugierten Kohlenstoffatomen zusammengesetzt, die es ihnen ermöglichen, Lichtwellen im gelben und roten Bereich zu reflektieren und somit gelblich-orange auszusehen. Diese Gruppe von Stoffen ist in der Natur weit verbreitet und sorgt unter anderem für die orange Farbe der Karotte, die gelbe Farbe des Eidotters und die rote Farbe der Tomatenschale.
Auch die Carotinoide sind am Prozess der Photosynthese der Pflanzen beteiligt, doch im Gegensatz zum Chlorophyll nehmen sie nur wenig Energie zur Produktion von Zucker auf. Die übliche Erklärung dafür ist, dass Carotinoide hauptsächlich zum Schutz vor jenen Lichtwellen dienen, die nichts zur Photosynthese beitragen und den ganzen Prozess durch ein Übermaß an Energie zerstören könnten. Diese Lichtwellen werden durch die Carotinoide absorbiert, und ihre Energie wird in der Form von Wärme an die Umwelt abgegeben.
Eigentlich zerfallen auch die Carotinoide gemeinsam mit dem Chlorophyll in den absterbenden Blättern, doch ihre Zerfallsgeschwindigkeit ist wesentlich geringer, und deshalb sehen wir die gelbe Farbe über eine längere Zeit.
Der Schlüssel zur Verfärbung ist die Temperaturänderung, die die verfügbare Energie verringert und den Bäumen anzeigt, dass der Herbst gekommen ist. Laubverfärbung | Foto: Shutterstock
Rot wie Erdbeeren
Bestimmte Bäume machen bei Gelb nicht halt, sondern verändern die Farbe ihrer Blätter weiter bis zu einem kräftigen Rot. Diese Farbe kommt nicht von den Pigmenten, die schon zuvor in den Blättern vorhanden waren, sondern von neuen Stoffen, die der Baum im Vorfeld des Blätterfalls produziert. Diese Pigmente gehören zu einer Gruppe von Stoffen, die Anthocyane genannt werden. Kennzeichnend für deren chemische Struktur sind meist einige Kohlenstoffringe, die durch ein Gefüge mit einem relativ hohen Anteil an Sauerstoffatomen aneinandergebunden sind. Diese Struktur erlaubt es den Blättern, Licht im roten und blauen Bereich zu streuen, und verleiht ihnen eine rot-violette Färbung. Anthocyane sind jene Stoffe, durch die Äpfel, Erdbeeren, Weintrauben und bestimmte Blumen ihre charakteristische rote Farbe bekommen.
Über die biologische Rolle der Anthocyane gibt es verschiedene Vermutungen. Sie könnten etwa die Pflanze vor schädlicher ultravioletter Strahlung schützen. Die Bäume produzieren desto mehr Anthocyane, je stärker das Licht ist, sodass an kalten, aber sehr sonnigen Tagen die Rotfärbung der Laubbäume intensiver wird. Darüber hinaus ist bekannt, dass sie Antioxidantien sind, die das Gewebe des Holzes vor der Schädigung durch freie Sauerstoffradikale schützen, die beim Verwelken der Blätter entstehen können.
Manche Forscher denken hingegen, dass die Rotfärbung der Blätter Schädlinge abwehren soll. Es wurde herausgefunden, dass pflanzenfressende Blattläuse von gelben Farben angezogen werden, aber Rot nicht wahrnehmen können. Daher könnte es sein, dass Pflanzen die roten Pigmente produzieren, um die gelben zu tarnen, die beim Zerfall des Chlorophylls auftreten, und sich so vor Insektenbefall zu schützen.
Mit dem Abfall der Blätter zerfallen die darin enthaltenen Pigmente, das Blatt vertrocknet, und übrig bleibt nur die braune Farbe von Leitgewebe, wie etwa Tanninen, aus denen die Zellwände der Blätter zusammengesetzt sind und die im Verlauf des Blätterfalls nicht zerfallen. Die Laubverfärbung ist ein Beispiel dafür, wie die Biologie zu ihrem Nutzen Instrumente der Chemie und Gesetze der Physik verwertet. In diesem Herbst seid ihr eingeladen, hinauszugehen und eure Augen an dieser bunten Koproduktion zu weiden.