Trotz der pseudo-wissenschaftlichen Basis der chinesischen Medizin, trotz ihrer breiten Popularität und der Tatsache, dass die westliche Medizin sie auf Wunsch der Kundschaft integriert, ergeben einfache Tests der modernen wissenschaftlichen Medizin keine guten Ergebnisse.
In den letzten Jahrzehnten hat die Behandlung mithilfe der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) neben der westlichen Medizin einen immer größeren Stellenwert eingenommen und wird auch von medizinischen Anstalten gefördert. Die TCM greift auf eine über 3000 Jahre alte Tradition zurück, basiert auf Begriffe, die der westlichen Medizin völlig fremd sind und verwendet unkonventionelle Behandlungstechniken – vom Einstechen von Nadeln an strategischen Punkten im Körper bis hin zur Verabreichung von nicht Medikamenten, die nicht in einem kontrollierten Verfahren zugelassen wurden.
Die Popularität der TCM ist heute so groß, dass etwa ein Viertel der US-amerikanischen Bevölkerung TCM-Heilkräuter benutzt. Obschon die Wissenschaftler die Effektivität der TCM bezweifeln, bieten viele westliche medizinische Einrichtungen die TCM als zusätzliche Therapie an, wie zum Beispiel im Fall von Krebs.
Die öffentliche Debatte über die Wirksamkeit der TCM ist in den letzten Jahren wieder entbrannt, nach der Veröffentlichung des umstrittenen Buches „Gesund ohne Pillen“ von Edzard Ernst (in Wiesbaden geboren) und Simon Singh. Die Autoren behaupten, dass die TCM den meisten wissenschaftlichen Tests nicht standhält. Die Verwirrung sickert auch in die breite Öffentlichkeit, die nicht versteht, ob die TCM „funktioniert“ oder nicht.
Was sind die Methoden der TCM? Sind ihre Ergebnisse wissenschaftlich nachvollziehbar? Ist die TCM wirksam, wirkungslos oder sogar schädlich?
Eine alternative Anatomie
Zunächst müssen wir die Logik verstehen, auf der die TCM beruht. Ihre theoretischen Grundlagen sind äusserst kompliziert, und wir wollen deshalb nur die grundlegendsten Begriffe ansprechen.
Die TCM, die von der chinesischen Philosophie beeinflusst ist, basiert auf fünf Elementen, aus denen alles im Universum besteht: Wasser, Feuer, Erde, Holz und Metall. Diese Elemente kommunizieren auf komplexe Art und Weise miteinander. Jede dieser fünf hängt mit einem Geschmack, einer Farbe, einem Gefühl, einer Jahreszeit und mit Organen und Geweben im menschlichen Körper zusammen, aber ihre Definition stimmt nicht genau mit der westlichen Anatomie überein. Das Herz, zum Beispiel, kommuniziert mit Feuer, und die Niere mit Wasser.
Ein weiterer sehr wichtiger Begriff in der TCM ist Qi (wird „Tschi“ ausgesprochen): eine Art Lebensenergie, die im Körper fließt und alle Aktivitäten von Körper und Seele ermöglicht. Das Qi fließt in einem System von Kanälen, die Meridiane genannt werden, und eine Störung in seinem Fluss verursacht Krankheiten. Bei der Akupunktur diagnostiziert der Akupunkteur die problematischen Meridiane und durchdringt die Haut mit dünnen Nadeln an strategischen Punkten, den Akupunkturpunkten, die das Qi bündeln und das Gleichgewicht im Körper wiederherstellen. Der chinesische Therapeut kombiniert normalerweise Akupunktur mit „Heilkräutern“ (die auch Minerale, tierische und sogar menschliche Produkte beinhalten) und mit Behandlungen, die den Prinzipien der westlichen Medizin nahestehen, wie Massagen, Ernährungsumstellung und körperliches Training.
Es ist nicht leicht, die TCM zu verstehen. Der Therapeut muss eine umfangreiche und detaillierte Dokumentation kennen (die Zahl der Schriften geht in die Zigtausende) und wissen, wie man sie anwendet. Auch muss er die Meridiantheorie lernen, die sich anhand von Dokumentation, also auf empirische Weise, im Lauf der Zeit entwickelt hat, aufgrund von Schlussfolgerungen aus Phänomenen und wie diese zu behandeln sind, sodass der Therapeut bis zu 400 Akupunkturpunkte kennen muss, die im Atlas der TCM verzeichnet sind.
Aber diese Theorien basieren nicht auf der Anatomie, und auch nicht auf der tatsächlichen Funktion der Organe im Körper. Im Laufe der Geschichte hat die westliche Medizin noch nie einen anatomischen oder funktionellen Beweis für die Existenz von Qi oder von Meridianen gefunden – dies sind völlig abstrakte Begriffe, die keine physische Existenz haben. Ebenso gibt es keine medizinische Bedeutung für die Zuordnung von Organen zu Farben oder Gerüchen. Der Ausgangspunkt der TCM liegt woanders als das Wissen, auf das sich moderne Medizin und Wissenschaft stützen.
Zwischen Erfolg und Illusion
Die pseudo-wissenschaftlichen Prinzipien der TCM sind zwar nicht „wissenschaftlicher“ als diejenige der Homöopathie, zum Beispiel, aber sie genießt unter den verschiedenen Zweigen der Alternativmedizin einen besonderen Ruf für Verlässlichkeit und Wirksamkeit. Auch anerkannte Institutionen wie das britische und das deutsche Gesundheitswesen unterstützen die Therapie mithilfe von TCM.
Wegen ihrer Popularität interessiert sich auch die Wissenschaft für die TCM, sowohl Forscher wie die Pharmaindustrie, und sie versuchen, neue Medikamente und Behandlungen auf der Grundlage der TCM zu entwickeln, aber natürlich nach strengen Tests gemäß medizinischem Standard. So wurde zum Beispiel das Artemisinin aus Heilpflanzen der TCM zur Heilung von Malaria entwickelt, was Tu Youyou im Jahr 2015 den Nobelpreis für Medizin einbrachte.
Die Frage ist: Ist die TCM tatsächlich medizinisch wirksam? Können ihre Ergebnisse in kontrollierten Tests reproduziert werden? Ist sie effizienter als eine andere Behandlung, oder ist das eine Illusion, die aus der Erwartung entsteht? Wegen ihrer besonderen Natur ist es sehr schwierig, bestimmte Aspekte der TCM mit standardisierten wissenschaftlichen Mitteln zu untersuchen, und daher sind die Schlussfolgerungen umstritten.
Akupunktur zu Hause
Eine der Eckpfeiler der TCM ist die Akupunktur. Ist sie tatsächlich effektiv? Bevor wir versuchen, die TCM wissenschaftlich zu bewerten, müssen wir verstehen, wie Tests funktionieren, die die Effizienz einer bestimmten Behandlung prüfen wollen. Eine Stichprobe von Probanden wird in eine Gruppe eingeteilt, die die Behandlung erhält, und eine Kontrollgruppe erhält eine ähnliche Behandlung, aber ohne Wirkstoff (Placebo). Eine qualitative Studie folgt dem Doppelblindprinzip, bei dem die Probanden weder wissen, ob sie die Behandlung selbst oder ein Placebo erhalten, noch wissen es die Forscher, während der Behandlung, um Voreingenommenheit zu verhindern.
In vielen Fällen hat Placebo tatsächlich eine positive Wirkung, da bereits die Behandlung, echt oder simuliert, psychologische Mechanismen wie Erwartung, Erleichterung, Verringerung von Angstzuständen usw. auslöst, die eine physiologische Wirkung haben, „Placebo-Effekt“ genannt. Mit anderen Worten, ein Wissenschaftler fragt nicht: „Ist die TCM wirksam?“, sondern „Ist sie wirksamer als Placebo?“. Und auf diese Frage ist es schwierig, eine eindeutige Antwort zu erhalten.
Nicht blind
Wie definiert man eine Placebo-Akupunktur-Behandlung? Verschiedene Forscher definieren „Placebo-Akupunktur“ auf verschiedene Weise, zum Beispiel: ein Einstechen von Akupunktur-Nadeln an zufälligen Stellen (also nicht in den traditionellen Akupunkten), oder: nur oberflächliches Einstechen der Nadeln, oder äußerliche Berührung des Therapeuten der Akupunkten, ohne Einstechen.
Alle diese Varianten sind problematisch, denn es ist nicht klar, ob sie nicht genau das bewirken, was die Akupunktur vermeintlich bewirkt, und es ist nicht klar, ob man hier das Blindprinzip anwenden kann, und schon gar nicht das Doppelblindprinzip, denn der Therapeut weiß ja, ob er Akupunktur macht oder nur eine der Plabeco-Varianten. Deshalb sind die Erforschungsmöglichkeiten der Akupunktur sehr begrenzt und führen vielfach zu widersprüchlichen Ergebnissen.
Eine Nadel im Heuhaufen
Die Erforschung der TCM begann in der frühen 70er Jahren und resultierte in Tausenden von Artikeln seither. Es gibt Studien, die über eine positive Wirkung der Akupunktur bei Symptomen wie Schmerzen, Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Arthritis und sogar über eine Verbesserung der Denkfähigkeiten berichten. Andere Studien jedoch berichten, dass die Akupunktur keine besseren Ergebnisse ergab als Placebo.
Da aus einer großen Fülle von Studien verschiedene Ergebnisse zu erwarten sind, wurden auch einige Studien veröffentlicht, die die Ergebnisse zusammenrechneten (Meta-Analyse). Diese Analysen, von denen eine etwa 18.000 Probanden zusammenrechnete, ergeben, dass Akupunktur nur wenig effektiver ist als „Placebo-Akupunktur“.
Edzard Ernst, ein deutsch-britischer Arzt, der auch mithilfe von alternativer Medizin seine Patienten behandelt und mit Simon Singh „Gesund ohne Pillen“ geschrieben hat (siehe oben), veröffentlichte eine umfassende Rezension in der wichtigen Forschungszeitschrift „Pain“, die 57 Artikel über Forschungen zur Akupunktur zusammenfasst. Er kam zu dem Schluss, dass in den allermeisten Studien kein wirksamer Behandlungseffekt gefunden wurde. Die Behandlung führt sogar bei einigen Fällen zu Infektionen, wegen Gebrauch von unsterilen Nadeln.
Angesichts der Ergebnisse in den meisten Studien über die TCM, und trotz der Problematik ihrer Durchführung, ist der allgemeine Konsens in Kreisen der Wissenschaft, dass Akupunktur eine Art wirksames „Placebo“ ist. Die Tatsache selbst, also, dass der Patient dem Therapeuten vertraut und von ihm Heilung erwartet, und nur schon der körperliche Kontakt mit der Haut während der Behandlung, bewirkt einen Placebo-Effekt, der den Zustand des Patienten ein wenig verbessert. Mit anderen Worten, in Kreisen der Wissenschaft ist man sich einig, dass die Behandlung tatsächlich effektiv ist, aber es wird weiterhin behauptet, dass Qi und Meridiane keine tatsächliche Wirkung haben, und wir können zu ähnlichen Resultaten kommen, wenn wir die Nadeln an zufälligen Orten einstecken. Und trotzdem gibt es Forscher, die immer noch glauben, dass Akupunktur effektiv ist, und argumentieren das vor allem mit der Fragwürdigkeit der Erforschung.
Chinesischer Strom
Und trotzdem scheint die Kontroverse über die Akupunktur noch nicht abgeschlossen. Im Jahr 2014 veröffentlichte die renommierte Fachzeitschrift „Nature Medicine“ eine Studie, die eingehend diskutiert wurde. Forscher der New Jersey Medical School haben einen Zusammenhang zwischen Akupunktur, kombiniert mit elektrischer Stimulation (Elektroakupunktur), und der Behandlung von Entzündungen gefunden.
In der Studie wurde Elektroakupunktur bei Mäusen durchgeführt, die mit entzündlichen Substanzen aus einer von Bakterien produzierten bakteriellen Sepsis präpariert worden waren. Die Nadeln wurden an einer Stelle eingeführt, die einen bestimmten Akupunkturpunkt simuliert, der zufällig (oder nicht zufällig…) in der Nähe des Ischiasnervs im Becken- und Hüftbereich liegt. Die Forscher übertrugen mit der Nadel einen elektrischen Strom, der auch diesen Nerv stimulierte, und der Kontrollgruppe wurden dieselben Nadeln an dem selben Ort eingeführt, aber ohne elektrischen Strom. Statistisch eindeutig signifikant war, dass der elektrische Strom zur Freisetzung von entzündungshemmenden Substanzen, sogenannten Katecholaminen, führt, die das Risiko einer Sepsis verringern und so das Leben der Mäuse retten konnten.
Die chinesischen Therapeuten, die den Grundstein für die Akupunktur legten, wussten natürlich nichts über die Biologie von Infektionen und benutzten keinen elektrischen Strom. Studien dieser Art stärken bei Befürwortern der TCM den Glauben an ihre Wirksamkeit, und tatsächlich ist es möglich, dass unter bestimmten Bedingungen Akupunktur angebracht ist, aber dies sollte in einer kontrollierbaren klinischen Studie geprüft werden.