Trotz des Ekels, den sie bei vielen erregen, betrachtet die Forschung die Insekten als die neuen Superhelden, die die Welt vor dem Hunger retten werden. Sind sie wirklich eine brauchbare Alternative zum Fleisch?
Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung laut Prognosen auf ca. 9,6 Milliarden Menschen anwachsen – eine in der Geschichte beispiellose Zahl. Je mehr die Zeit drängt, desto stärker wird die Befürchtung, dass es nicht möglich sein wird, mit den bestehenden Bodenressourcen und den herkömmlichen landwirtschaftlichen Methoden alle zu ernähren. Die größte Sorge ist, dass ein gravierender Mangel an Proteinen entstehen wird, die zumindest in der westlichen Welt zum Großteil vom Fleischmarkt geliefert werden.
Eine interessante Alternative, die in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt, bestünde darin, Insekten als zusätzliche Nahrungsquelle zu benutzen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen enthalten essbare Insekten hohe Konzentrationen von Proteinen, Aminosäuren, Fettsäuren und Vitaminen wie Biotin und Folsäure.
Gemeinsame Forschungsarbeiten von Wissenschaftlern aus China und Großbritannien deuten darauf hin, dass Grillen, Heuschrecken und Mehlkäfer mehr Kalzium, Zink und Magnesium enthalten als ein Sirloin Steak, während Buffalowürmer sogar mehr Eisen aufweisen als rotes Fleisch. Darüber hinaus ist die Insektenzucht viel umweltfreundlicher als die Haltung von Rinderherden, die 14 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases Methan verursachen und zudem große Mengen des giftigen Gases Ammoniak freisetzen. Die von Insekten verbrauchte Nahrungsmenge ist um bis zu 80 Prozent geringer als jene, die Rinderherden zur Produktion der gleichen Proteinmenge benötigen, und ihre Zuchtflächen sind viel kleiner.
Enthalten hohe Konzentrationen von Proteinen, Vitaminen und Fettsäuren. Essbare Schmetterlingslarven | Foto: Shutterstock
Knusprige Grillen
Auf der Insel Madagaskar im Indischen Ozean wird jedes Jahr in der trockenen Periode vor der Reisernte eine erfrischende kulinarische Alternative angeboten: ungefähr 65 verschiedene Arten von Insekten, die der Bevölkerung als wichtigste Proteinquelle dienen. Ein ähnlicher Trend ist in anderen tropischen und subtropischen Ländern zu beobachten, die mehr als 2000 Insektenarten als Nahrung benutzen, von Käfern und Grillen bis zu Wespen, Libellen, Termiten und Ameisen.
In fast allen diesen Gebieten sind die Insekten Nahrungsergänzungsmittel, die es der Bevölkerung ermöglichen, ihre Kost mit fehlenden Nährstoffen anzureichern. Beispielsweise verzehren die Bewohner Papua-Neuguineas die Larven des Palmenkäfers, die hohe Mengen der Aminosäuren Lysin und Leucin enthalten, neben Süßkartoffeln, die hohe Konzentrationen von anderen Aminosäuren wie Tryptophan aufweisen, das bei den Käfern nicht vorkommt.
In den tropischen Ländern werden die meisten Käfer in der Natur eingesammelt, und ihre Bestände ändern sich im Lauf des Jahres entsprechend der Vegetation und den Wetterbedingungen. Um die Schädigung des Ökosystems zu begrenzen, wurden in einigen Ländern Farmen errichtet, die auf die Insektenzucht spezialisiert sind. So operieren etwa in Thailand rund 20 000 derartige Farmen, die jährlich rund 7500 Tonnen Grillen an die Haushalte liefern.
In der westlichen Welt herrschen andere Verhältnisse. Die Insekten, die in der Natur vorkommen, sind kleiner als in den tropischen Zonen, und es gibt keine Tradition der Insektenjagd. Unter diesen Umständen können Insekten für die Nahrung nur aus der Zucht kommen. Doch bevor man Farmen errichtet, muss man sich mit einem schwierigen Problem auseinandersetzen: In der westlichen Welt gilt das Verzehren von Insekten als Tabu. Insekten können das Objekt von prächtigen Naturaufnahmen sein, aber wenn sie ins Haus oder auf den Teller kommen, erregen sie vor allem Abscheu, besonders, wenn sie in großen Mengen auftreten. Von kulinarischem Genuss kann da natürlich keine Rede sein.
Wegen der vielen Vorteile des Konsums von Insekten gibt es in den letzten Jahren intensive Anstrengungen, diese Auffassung zu verändern. 2015 wurde eine wissenschaftliche Zeitschrift mit dem Namen „Journal of Insects as Food and Feeds“ gegründet, die sich mit Insekten als Nahrung befasst, und in den USA kann man bereits Snacks, Mehl und Kekse aus Grillen bekommen. In Holland werden in den Supermärkten tiefgefrorene und getrocknete Insekten angeboten, und es wurden Farmen errichtet, die Insekten für den privaten Konsum züchten. Man kann auch Kochbücher finden, die Rezepte für die Zubereitung lokaler oder importierter Insekten vorschlagen.
Ohne Zweifel können Insekten einen bedeutenden Beitrag zur Lösung des für die kommenden Jahrzehnte zu erwartenden Hungerproblems liefern. Die Wichtigkeit des Themas und die Einsicht, dass die herkömmliche Landwirtschaft keine Lösungen liefern kann, treiben die Welt zur Entwicklung einer Insekten-Wirtschaft an, die sowohl das Vieh als auch die Menschen ernähren soll. Es ist ungewiss, ob das gesellschaftliche Tabu in Europa und Nordamerika diesen Übergang zulassen wird. Dazu müsste sich der üble Ruf der Insekten in diesen Weltgegenden radikal verändern.
Die Insektenzucht könnte sowohl das Vieh als auch die Menschen ernähren. Essbare Heuschrecken | Foto: Shutterstock
Eine gesunde Alternative?
Die Frage, ob Insekten wirklich ein gesundes Nahrungsmittel darstellen, beunruhigt viele Forscher auf dem relativ neuen Gebiet der Entomophagie – des Insektenverzehrs. Viele Forschungsarbeiten, die zu diesem Thema publiziert wurden, betonen die Wichtigkeit der richtigen Identifizierung der Insektenarten, welche die notwendigen Nährstoffe liefern können, ohne dem Menschen zu schaden. Beispielsweise enthalten Puppen von afrikanischen Seidenraupen Stoffe, die das wichtige Vitamin B1 zersetzen können. In Nigeria werden diese Puppen verzehrt, und in der Saison, in der sie vorkommen, bricht regelmäßig eine schwere muskuläre Erkrankung aus, die durch einen Mangel an diesem Vitamin ausgelöst wird.
Ein von einer deutschen Gruppe veröffentlichter Artikel warnt vor zahlreichen weiteren Gefahren, die der Konsum von Insekten birgt, von Allergenen, die Atembeschwerden und Hautschäden verursachen können, bis zu Parasiten, Bakterien und Schimmel, die Insekten befallen und für Menschen giftig sein können. „Für jede der essbaren Arten müssen Ernährungstests durchgeführt werden, um ihren Nährwert und ihre Haltbarkeitsdauer festzustellen“, resümieren die Forscher.
Da jedes Insekt einen anderen Nährwert hat, kann kaum mit Bestimmtheit gesagt werden, ob Insekten die Ernährungserfordernisse im gleichen Maß decken können wie Fleisch. In einem Bericht der FAO wurden die Ergebnisse eines amerikanischen Forschers veröffentlicht, der den Nährwert von Mehlkäferlarven mit jenem von Rindfleisch verglichen hat. Es stellte sich heraus, dass nach bestimmten Kriterien der Nährwert verschieden ist – zum Beispiel fehlen in den Larven gewisse Aminosäuren, die im Rindfleisch vorhanden sind. Dafür sind die Larven reicher an Vitaminen, mit Ausnahme von Vitamin B12.
Wegen dieser Abweichungen werden, wenn die menschliche Ernährung auf Insekten als Ergänzung zu Fleisch und Geflügel ausgedehnt wird, die anbietenden Landwirte die Konsumenten über den gesamten Nährwert ihrer Produkte informieren müssen, damit das Fehlende über andere Lebensmittel zugeführt werden kann – also genau das, was heute bei vielen Esswaren üblich ist.
Dror Tamir, einer der drei Gründer der Firma „Hargol FoodTech“, ist überzeugt, dass Heuschrecken und Heupferde eine geeignete Alternative zu Proteinen aus Fleischprodukten sind. Gemeinsam mit seinen Partnern Hanan Aviv und Ben Friedman arbeitet er an der Entwicklung der weltweit ersten Heuschreckenfarm ihrer Art. In dieser Farm in Israel werden schon Heuschrecken gezüchtet, die als Pulver auf den Weltmarkt exportiert werden. In der Pulverform können die Insekten als Basis für die Herstellung proteinreicher Nahrungsmittel dienen. „Unsere Heuschrecken werden in amerikanischen Laboratorien einer präzisen Analyse unterzogen, wobei die Zusammensetzung ihrer Proteine, Aminosäuren und Lipide geprüft wird. Alle Daten deuten darauf hin, dass Heuschrecken eine geeignete Alternative zum Fleisch sind“, sagt Tamir und betont, dass seine Insekten zu rund 70 Prozent Protein enthalten, sowie Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren.
In der nahen Zukunft werden Insektenpulver, wie sie Hargol Foodtech und ähnliche Betriebe entwickeln, wohl hauptsächlich zur Fütterung von Tieren verwendet werden, aus deren Verzehr wir als Alternative zu Pflanzen oder Rindern Proteine beziehen. Forschungsarbeiten zeigen, dass Zuchttiere, von Schweinen bis zu Speisefischen, tatsächlich mit Insekten als Proteinquelle ernährt werden können, unter Beigabe von bestimmten Aminosäuren.
In einer ersten Phase werden Insektenpulver anscheinend als Viehfutter dienen und die Fleischpreise senken | Foto: Shutterstock