Die Technologie der Kernreaktoren erschließt relativ billige und saubere Energie, stellt uns aber auch vor Sicherheitsrisiken und vor bedeutende Herausforderungen beim Umgang mit dem radioaktiven Müll
Die Kernenergie wird häufig als saubere Alternative zur Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl oder Erdgas genannt. Tatsächlich stoßen Kernkraftwerke kein Kohlendioxid und keine anderen Treibhausgase in die Atmosphäre aus, abgesehen von Wasserdampf. Doch Gegner behaupten, dass die Verwendung der Kernspaltung zur Energieerzeugung zu gefährlich sei, weil ein Unfall eine gewaltige ökologische Katastrophe auslösen könnte.
Um die Argumente für und gegen die Kernenergie zu verstehen, müssen wir uns ein wenig mit dem Aufbau des Atoms und mit den Teilchen, aus denen es gebildet ist, befassen. Der Atomkern setzt sich aus Protonen, deren elektrische Ladung positiv ist, und Neutronen, die keine elektrische Ladung aufweisen, zusammen. Was sie aneinanderbindet, ist die starke Wechselwirkung, die die elektrische Abstoßung zwischen je zwei Protonen übertrifft – denn zwei Körper mit elektrischer Ladung gleichen Vorzeichens stoßen einander ja ab - , sodass die Kerne ganz bleiben.
Je größer die Zahl der Protonen im Kern ist, desto stärker ist die elektrische Abstoßung, und desto instabiler ist daher der Kern, sodass er leichter zerfällt. Manche der Kerne, so etwa die besonders schweren Kerne – vom Blei, das 82 Protonen hat, aufwärts - , neigen dazu, spontan in kleinere, stabilere Kerne zu zerfallen, eine Erscheinung, die Radioaktivität genannt wird. Während alle Elemente jenseits des Bleis radioaktiv sind, gibt es auch leichtere radioaktive Kerne, z. B. radioaktiven Kohlenstoff (Kohlenstoff-14) oder radioaktives Kalium (Kalium-40). Wenn zudem ein freies Neutron solche schweren Kerne trifft, können sie sich manchmal in zwei ungleiche Teile aufspalten, also in zwei kleinere und stabilere Atome. Dieser Vorgang heißt Kernspaltung, und er tritt in der Praxis in einem erheblichen Umfang nur bei Elementen auf, die schwerer sind als Uran, das 92. Element im Periodensystem und das schwerste Element, das in großen Mengen in der Natur vorkommt.
Brennstoff für Kernkraftwerke: Uranwürfel | Foto: Energieministerium der Vereinigten Staaten, Wikipedia, gemeinfrei
Kettenreaktion
Im Gegensatz zur chemischen Energie, die in Kraftwerken durch die Verbrennung von Kohle und Gas gewonnen wird, beruhen Kernkraftwerke auf einer nuklearen Kettenreaktion. Diese Reaktion ergibt sich aus einer besonderen Eigenschaft der Kernspaltung: Wenn ein schweres Atom in zwei kleinere Atome zerfällt, wird ein Teil der Neutronen freigesetzt, wobei aber die Gesamtzahl der Neutronen und Protonen im System erhalten bleibt.
Es gibt viele Arten, auf die der Kern sich spalten kann, und dabei können jeweils verschiedene Zahlen von Neutronen freigesetzt werden, doch im Allgemeinen setzt jeder gespaltene Kern 2 bis 3 Neutronen frei. Ein Teil dieser Neutronen trifft auf weitere Atomkerne und bewirkt, dass auch diese zerfallen und selbst zusätzliche Neutronen freisetzen, und so entsteht eine fortdauernde Kettenreaktion. Stoffe, die eine Kettenreaktion auslösen können, nennt man Spaltstoffe.
Der Prozess der Kernspaltung setzt eine gewaltige Energiemenge frei: Wenn wir alle Atome in einem einzigen Kilogramm Uran spalten, erhalten wir ungefähr eine Million Mal mehr Energie als bei der Verbrennung der gleichen Menge an Kohle. Der einzige in der Natur vorkommende Spaltstoff ist Uran-235, doch er ist relativ selten, und seine Konzentration im Natururan beträgt nur 0,7 Prozent. Diese Konzentration reicht im Allgemeinen nicht aus, um eine Kettenreaktion aufrechtzuerhalten, und in den meisten Kraftwerken muss sein Anteil im Kernbrennstoff auf einen höheren Grad angereichert werden.
Fast das gesamte andere auf der Erde vorkommende Uran ist Uran-238. Diese beiden Arten von Uran sind Isotope: das bedeutet, dass ihr Kern jeweils die gleiche Zahl von Protonen (92) aufweist, weshalb sie als ein und dasselbe Element gelten, aber ihre Neutronenzahlen verschieden sind. Uran-235, dessen Kern 143 Neutronen enthält, ist ein weniger stabiles Isotop als Uran-238, aber davon abgesehen sind ihre chemischen Eigenschaften fast identisch. Deshalb ist ihre Trennung, die Urananreicherung genannt wird, ein kostspieliger und komplizierter Prozess.
Beispiel für eine Kernspaltung: Ein Neutron erschüttert die Stabilität des Kerns, und das Uran spaltet sich in Krypton und Barium unter Freisetzung von drei Neutronen | Illustration: Fastfission, Wikipedia, gemeinfrei
Langsame und kontrollierte Reaktion
In Atombomben läuft die Kettenreaktion sehr schnell ab, denn es wird darauf abgezielt, so viele Atome wie möglich zu spalten, bevor die Explosion den Spaltstoff verstreut und die Reaktion zum Stillstand kommt – ein Prozess, der weniger als eine Millionstel Sekunde dauert. Deshalb verwendet man eine divergente Kettenreaktion, bei der die Zahl der Spaltungen rasch ansteigt.
Im Gegensatz dazu basieren Kernkraftwerke auf einer stabilen und langsameren Kettenreaktion. Das wichtigste der Mittel, welche die Kettenreaktion hemmen, sind die Regelstäbe, die Neutronen absorbieren. So wird erreicht, dass von allen Neutronen, die bei der Spaltung freigesetzt werden, im Durchschnitt nur eines eine weitere Spaltung auslöst. Dadurch bleibt die Zahl der Spaltungen pro Zeiteinheit, die die Leistung des Reaktors bestimmt, stabil, und kleine Abweichungen werden rasch korrigiert, ohne dass die Kettenreaktion außer Kontrolle gerät.
Die anderen Neutronen, die bei der Spaltung freigesetzt werden, werden von den Regelstäben oder vom Wasser, das sich im Kern der meisten Reaktoren befindet, absorbiert, oder sie treten aus dem Reaktorkern aus. Ein Teil von ihnen trifft auch auf das Uran-238 im Kernbrennstoff, spaltet es aber nicht, weil es nicht leicht spaltbar ist. So entsteht ein neues Isotop mit einem zusätzlichen Neutron, Uran-239. Dieses Isotop ist nicht stabil und verwandelt sich durch die Abspaltung von Neutronen in das Element Plutonium. So entsteht Plutonium in Kernkraftwerken. Dieser Prozess unterscheidet sich stark von der schnellen Kettenreaktion, die in einer Spaltungsbombe abläuft, sodass sogar der größte anzunehmende Unfall in einem Kernkraftwerk keine starke Explosion auslösen würde.
Die Energieerzeugung in einem Reaktor hat viel Ähnlichkeit mit jener in einem herkömmlichen Kraftwerk: Im Kern befindet sich Spaltstoff, im Allgemeinen niedrig angereichertes Uran und in seltenen Fällen gewöhnliches Uran mit Plutonium, und durch ihn fließt ein Kühlmittel, im Allgemeinen Wasser. Die Wärme, die durch die Spaltungen im Kernbrennstoff entsteht, wird in das Kühlmittel geleitet, sodass die Temperatur des Reaktorkerns konstant bleibt. Vom Kühlmittel wird die Wärme auf einen Wasserspeicher übertragen. Das bringt das Wasser zum Sieden und verwandelt es in Wasserdampf, der eine Turbine antreibt, die wiederum in einem Generator Strom erzeugt. Kernreaktoren für die Stromerzeugung gibt es seit Mitte der 50er Jahre, rund 15 Jahre nach der Entdeckung der Kernspaltung und rund ein Jahrzehnt nach der Errichtung der ersten Kernreaktoren, die der Gewinnung von Plutonium für die Herstellung von Bomben dienten.
Das Kernkraftwerk in Kori in Südkorea, das vier aktive Reaktorblöcke umfasst | Foto: Korea Kori NPP, Wikipedia
Billige und saubere Energie?
Mengenmäßig kann die Kernenergie tatsächlich die Menschheit mit dem gesamten Strom versorgen, den sie heute braucht. Um zu entscheiden, ob es wünschenswert ist, auf sie zu bauen, muss man die Vorteile und Nachteile gründlich abwägen.
Der vielleicht beste Grund, die Kernenergie der Energie aus fossilen Brennstoffen vorzuziehen, liegt darin, dass ein Kernreaktor fast keine Schadstoffe in die Atmosphäre ausstößt. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Kraftwerken, die Energieträger verbrennen, gibt ein Kernkraftwerk überhaupt kein Kohlendioxid ab, da dieses Gas bei den Kernreaktionen nicht entsteht. Zwar wird eine relativ kleine Menge Kohlendioxid beim Abbau des Urans und seiner Umwandlung in Kernbrennstoff freigesetzt, aber insgesamt setzt die Stromproduktion aus Kernbrennstoff pro Energieeinheit viel weniger Treibhausgase frei als jene aus fossilen Brennstoffen. Angesichts des Klimawandels und der Anstrengungen zur Eindämmung der Treibhausgase ist das ein bedeutender Vorteil. Ein Kernreaktor verursacht auch keine Luftverschmutzung durch giftige Teilchen, wie sie für die Verbrennung fossiler Brennstoffe kennzeichnend ist. Die Kernenergie gilt daher als saubere Energie.
Ein anderer wichtiger Vorteil der Kernenergie sind die relativ niedrigen Betriebskosten eines Reaktors: Reaktoren verbrauchen gewöhnlich sehr wenig Kernbrennstoff, und dieser muss erst nach einigen Jahren erneuert werden. Zudem ist der Kernbrennstoff nicht besonders teuer, da eine relativ kleine Menge von Uran ausreicht, um Strom zu erzeugen. Daher sind Kernkraftwerke im Allgemeinen sehr rentabel. Die Seltenheit der Befüllung und die hohe Leistung eines relativ kleinen Reaktors machen die Kernenergie zu einer besonders attraktiven Energiequelle für Flugzeugträger und U-Boote.
Andererseits sind die Errichtungskosten für ein Kernkraftwerk sehr hoch, und es dauert viele Jahre, bis sich die Investition amortisiert. Kernkraftwerke haben zwar eine Lebensdauer von Jahrzehnten – der israelische Forschungsreaktor in Nachal Sorek beispielsweise ist schon mehr als 60 Jahre alt. Die hohen Einstandskosten sind gewiss ein Faktor, der die Entscheidungsträger abschreckt, und tatsächlich kann man sich auf eine derart hohe Investition nicht leichtfertig einlassen, wenn man nicht sicher sein kann, dass die Reaktoren lange in Betrieb sein werden. Zudem kann man, auch wenn Wind- oder Sonnenkraftwerke bei gleicher Leistung sogar noch teurer sein können als Kernkraftwerke, auf der Basis dieser Energiequellen kleinere Kraftwerke bauen. Hingegen wird ein kleines Kernkraftwerk meist weniger effizient sein, und es ist nicht wesentlich billiger als ein großes Kernkraftwerk.
Ein weiterer Vorteil der Kernenergie gegenüber erneuerbaren Energiequellen wie dem Wind und der Sonnenstrahlung besteht darin, dass die Energieerzeugung im Reaktor sehr stabil ist und nicht vom Wetter oder der Tageszeit abhängt. Für die meisten Reaktoren ist es der Idealfall, wenn der Reaktor ständig bei konstanter Leistung arbeitet und zu jeder Tageszeit die gleiche Stromstärke liefert, obwohl es auch möglich ist, die Leistung dem Bedarf entsprechend zu ändern. Während diese Stabilität komfortabel ist, ist mit ihr ein bedeutender Nachteil verbunden – denn der Strombedarf bleibt im Verlauf des Tages nicht konstant, was beim Management des Stromhaushalts zu berücksichtigen ist.
Der nukleargetriebene Flugzeugträger Nimitz der amerikanischen Marine. Zwei Kernreaktoren mit einer Gesamtleistung von ca. 100 MW | Foto: US-Navy, Wikipedia, gemeinfrei
Gefahr: Unfälle und Terror
Zu beachten sind auch die Nachteile der Kernenergie, besonders im Sicherheitsbereich: Kernreaktoren erzeugen Plutonium und können daher der Herstellung von Kernwaffen dienen. Deshalb ist auf globaler Ebene eine strenge Kontrolle der Reaktoren und überhaupt der gesamten Kerntechnologie notwendig. Denn es wäre ganz und gar nicht wünschenswert, wenn es in politisch instabilen Ländern Reaktoren gäbe, die Plutonium erzeugten, oder wenn spaltbares oder radioaktives Material in die Hände von Terrororganisationen gelangte. Die Auswirkungen wären verheerend.
Wegen dieser Befürchtungen gelten strenge Einschränkungen für die Weitergabe von Kerntechnologie an viele Länder. Darin ist auch die große Sorge der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf Länder wie den Iran begründet, die Kernreaktoren bauen möchten, dem Anschein nach zum Zweck der Forschung oder der Stromproduktion. Weil es sich in seinem Wesen nicht um ein wissenschaftliches oder technisches Problem handelt, sind dafür auch keine wissenschaftlichen, sondern politische Lösungen erforderlich.
Ein Plutoniumring mit 11 cm Durchmesser wiegt 5 kg und reicht für die Produktion einer Atombombe. | Foto: Los Alamos National Laboratory, USA, Wikipedia
Ein anderer Nachteil ist der Schaden, der bei einem Unfall entstehen kann. Ein heiler Kernreaktor gibt fast keine Strahlung oder Schadstoffe an die Umwelt ab. Problematisch wird es, wenn etwas schiefgeht und ein schwerer Störfall eintritt, der eine ausgedehnte radioaktive Kontaminierung verursachen kann. Tatsächlich mussten nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 und der Katastrophe von Fukuschima 2011 großflächige Gebiete von ihren Bewohnern evakuiert werden.
Während die Gefahr offensichtlich ist, muss man auch sehen, dass gravierende Störfälle bei Kernreaktoren sehr selten sind und man manchmal auch bei einem schweren Unfall mit einem relativ geringfügigen Schaden davonkommt. Man darf auch nicht vergessen, dass Kraftwerke, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, Schadstoffe ausstoßen, die in ihrem Umfeld schwere Krankheiten hervorrufen, und das Gleiche gilt für die Werke, die den Brennstoff erzeugen. Obwohl also Kernreaktorunfälle viel Aufmerksamkeit erregen, ist die Kernenergie langfristig anscheinend viel weniger gefährlich als die meisten Alternativen.
Doch es gibt Faktoren, die das Risiko vergrößern. Es ist fraglich, ob Kernenergie die passende Lösung für ein Land mit einer komplizierten Sicherheitssituation ist, wo Reaktoren der Bedrohung durch Raketen ausgesetzt sein können. Zudem sind Naturgegebenheiten zu berücksichtigen, wie etwa die Wahrscheinlichkeit eines starken Erdbebens.
Ein ernster Störfall erfordert die Evakuierung von ausgedehnten Gebieten. Die Geisterstadt Pripjat neben dem Reaktor von Tschernobyl, Ukraine | Foto: Milosz Maslanka. Shutterstock
Achtung: Müll
Die Reaktoren emittieren zwar keine Treibhausgase, doch sie erzeugen sehr wohl radioaktiven Müll, der entsorgt und an einem sicheren Ort vergraben werden muss. Dieser Müll enthält mehrere miteinander vermengte Komponenten. Die Komponentengruppe, die den größten Beitrag zur radioaktiven Strahlung liefert, bilden die Spaltprodukte: Die kleineren Kerne, die entstehen, wenn der Urankern in zwei Teile zerfällt. Wenn ihre Konzentration im Kernbrennstoff 3 bis 5 Prozent erreicht, bringen sie die Kettenreaktion zum Stillstand, und der restliche Kernbrennstoff wird selbst vollständig zu radioaktivem Müll.
Viele der Spaltprodukte sind auch selbst radioaktiv. Zum Teil zerfallen sie innerhalb von höchstens einigen Monaten, und während dieses raschen Zerfalls geben sie sehr starke Strahlung ab, die aber auch sehr rasch schwächer wird. Besondere Gefahr geht von einem der Isotope des Elements Jod aus. Andere Spaltprodukte zerfallen viel langsamer, in einem Prozess, der Hunderttausende von Jahren dauert, sodass sie für sehr lange Zeit in der Umwelt verbleiben werden, doch ihre Strahlung ist relativ schwach und nicht sehr gefährlich.
Das Hauptproblem stellen die Spaltprodukte mit einer Halbwertszeit von einigen Jahrzehnten dar, also solche, bei denen es einige Jahrzehnte dauert, bis die Hälfte der ursprünglichen Menge zerfallen ist. Diese Zeit ist kurz genug, damit sie gefährliche radioaktive Strahlung von erheblicher Intensität abgeben, doch es werden Jahrhunderte vergehen, bis sie vollständig zerfallen und verschwinden, und es ist schwierig, ihre sichere und kontinuierliche Lagerung über einen so langen Zeitraum zu gewährleisten.
Zu unserem Pech befinden sich nicht wenige solcher Stoffe unter den Spaltprodukten. Zum Beispiel rührt die heutige Verseuchung im Umfeld von Tschernobyl hauptsächlich von nur zwei Isotopen her, die im Reaktor entstanden sind: Cäsium-137 und Strontium-90. Beide haben eine Halbwertszeit von ungefähr 30 Jahren, sodass die Strahlung heute etwa halb so stark ist wie Ende der 80er Jahre. Doch sie ist immer noch sehr stark, und es werden Hunderte von Jahren vergehen, ehe sie auf das Niveau der natürlichen Hintergrundstrahlung absinkt. Das sind auch die Stoffe, die für eine schmutzige Bombe verwendet werden könnten.
Den größten Anteil am Atommüll haben die radioaktiven Schwerelemente – Uran und noch schwerere künstliche Elemente. Diese Art von Müll ist kurzfristig weniger radioaktiv, aber längerfristig problematisch. Ca. 99 Prozent dieses Mülls bestehen aus niedrig angereichertem Uran, das im Reaktor nicht genutzt wurde. Dieses Uran ist nicht besonders radioaktiv und hat keinen bedeutenden Anteil an der Strahlung und der Gefahr, die vom Atommüll ausgeht.
Zudem enthält dieser Müll etwas Plutonium, das viel radioaktiver und giftiger ist. Dieses stellt auch ein Sicherheitsrisiko dar, weil es zur Herstellung von Kernwaffen verwendet werden kann. Es ist allerdings einfacher, dafür Plutonium zu verwenden, das in eigens dafür gebauten Reaktoren produziert wurde, und im Allgemeinen verwendet man dafür nicht in Kraftwerken entstandenes Plutonium. Außerdem enthält dieser Müll noch weitere stark radioaktive Schwerelemente, aber in kleineren Mengen. Diese entstehen, wenn Uran- und Plutoniumatome Neutronen absorbieren, aber sich nicht spalten. Viele von ihnen zerfallen über Zeiträume von Jahrtausenden und darüber hinaus, sodass sie sowohl in einem gefährlichen Ausmaß radioaktiv sind als auch für die absehbare Zukunft erhalten bleiben, ohne dass die von ihnen ausgehende Gefahr bedeutend abnimmt.
Lagerung von Atommüll im Y-12-Komplex in Oak Ridge, Tennessee | Foto: U.S. SCIENCE PHOTO LIBRARY / DEPT. OF ENERGY
Wiederaufbereitung von radioaktivem Müll
Was machen wir also mit dem Atommüll? Zunächst einmal müssen wir ihn lagern: Viele der stark radioaktiven Spaltprodukte zerfallen sehr rasch, sodass ein bedeutender Teil der Radioaktivität sich schon binnen weniger Jahre verflüchtigt. Über diesen Zeitraum lagert man den verbrauchten Kernbrennstoff in Becken innerhalb der Kraftwerksanlage. Diese Becken erfüllen einen doppelten Zweck: Die Strahlung dringt nicht durch das Wasser, das also eine Art Schutzschicht darstellt, und zudem kühlt es den Müll. Diese Kühlung ist unbedingt erforderlich, weil die austretende große Strahlungsmenge extreme Hitze erzeugt.
Nach dem Verweilen im Becken, das sogar zwanzig Jahre und mehr dauern kann, wird der Müll in abgedichtete Stahlbehälter umgelagert, die von einer Betonschicht ummantelt sind, welche die Strahlung blockiert und das Aussickern von radioaktivem Müll verhindert. In solchen Behältern kann der Atommüll jahrzehntelang gelagert werden.
Lagerung von verbrauchtem Kernbrennstoff in einem Becken im Kernkraftwerk Hanford, Washington | Foto: Energieministerium der USA, Wikipedia, gemeinfrei
In manchen Ländern, darunter Großbritannien, Russland und Japan, aber nicht die USA, unterzieht man den Atommüll einer Prozess, der Wiederaufbereitung genannt wird, wobei der Müll in seine Bestandteile aufgetrennt wird. So kann man daraus das Uran zurückgewinnen und es für eine abermalige Verwendung aufbereiten, ebenso wie die anderen Schwerelemente.
Diese Methode erlaubt eine viel effizientere Nutzung des Urans: das im Reaktor nicht verbrauchte Uran, das eigentlich den Großteil des dort zu Beginn eingefüllten Kernbrennstoffs darstellt, durchläuft einen zusätzlichen Zyklus. Auch das abgetrennte Plutonium kann man als Kernbrennstoff verwenden. Nachdem man die restlichen Schwerelemente vom Müll trennt, bleiben als radioaktiver Müll, der eine lange Lagerung erfordert, hauptsächlich die Spaltprodukte übrig. Weil deren Menge relativ gering ist, sind auch die Masse und das Volumen des Mülls, der für diesen Prozess anfällt, viel kleiner, sodass die Lagerung und die Handhabung leichter sind – was letztlich auch der Zweck des Prozesses ist. Im Ergebnis ist die Radioaktivität des Mülls konzentrierter und vergleichbar mit der ursprünglichen Radioaktivität des verbrauchten Kernbrennstoffs – das heißt, wir haben die gesamte Radioaktivität in einem viel kleineren Volumen des Mülls konzentriert.
Das Problem ist, dass es sich dabei um einen kostspieligen Prozess handelt, während Uran ein relativ billiges Metall ist. Meistens ist es billiger, das im verbrauchten Kernbrennstoff vorhandene Uran zu beseitigen und für die Befüllung des Reaktors neues Uran abzubauen.
Ein weiterer Nachteil ist, wie gesagt, das Sicherheitsrisiko, das mit der Gewinnung des Plutoniums verbunden ist. Das ist der Hauptgrund dafür, dass man diese Technik in den USA meidet. In Japan, das keine Kernwaffen besitzt, bereitet man den Atommüll sehr wohl wieder auf, und deshalb hat sich dort ein Plutoniumvorrat angesammelt, der für den Bau von ca. zehntausend Atombomben reichen würde. Das ist eine gewaltige Menge von gefährlichem Material, das unter schwerer Bewachung stehen muss, denn wenn auch nur ein kleiner Teil gestohlen würde, könnte das verheerende Folgen haben.
Für einen Teil der Stoffe, die man vom Atommüll heraustrennen kann, gibt es industrielle und medizinische Anwendungen. So dient das Isotop Technetium-99 dank der von ihm abgegebenen Strahlung in winzigen Mengen der Bildgebung. Caesium-137 dient bei vielfältigen industriellen Anwendungen und bei medizinischen Bestrahlungen als Strahlungsquelle. Doch angesichts der großen Menge von Atommüll sind diese Anwendungen unbedeutend.
Es gibt eine Klasse von Kernreaktoren, genannt Schnellneutronenreaktoren, in denen dieser schwere Müll – das Uran, das Plutonium und die anderen radioaktiven Schwerelemente – als Kernbrennstoff dienen können. Die Technologie der Schnellneutronenreaktoren steht in der ersten Reihe der heutigen Reaktorforschung, und es ist durchaus möglich, dass derartige Reaktoren in nicht allzu ferner Zukunft dazu beitragen werden, den Atommüll anderer Reaktoren zu beseitigen. Einige solcher Reaktoren sind in der Vergangenheit schon gebaut worden, allerdings nicht zum Zweck des Abbrennens von Atommüll.
Potenzial zur Wiederaufbereitung. Schnellneutronenreaktor, erbaut von der Sowjetunion in Schewtschenko am Ufer des Kaspischen Meers | Foto: Shutterstock, yevgeniy11
Wie vergraben?
Auch im günstigsten Szenario bleibt eine beachtliche Menge von radioaktiven Spaltprodukten übrig, die in keiner Weise verwendet werden können und deren Strahlung erst nach Hunderten von Jahren auf das Niveau der Strahlung des ursprünglich abgebauten Uranerzes abklingen wird. Die beste Lösung für diesen Müll ist, ihn langfristig so zu lagern, dass er nicht in die Umwelt austreten und Leben gefährden kann. Diese Aufgabe ist komplex, und von Zeit zu Zeit kommt es tatsächlich vor, dass kleine Mengen austreten. Der schlimmste derartige Zwischenfall war der Kyschtym-Unfall in der Sowjetunion, wo wegen fahrlässiger Handhabung eine große Menge von Atommüll in die Umwelt gelangte.
Zu den Methoden, die heute angewendet werden, gehört etwa die Lagerung des Mülls in Behältern auf dem Kraftwerksgelände für unbegrenzte Zeit. Eine andere Lösung ist die unterirdische Lagerung an einem geologisch stabilen Ort. Damit soll gewährleistet werden, dass die Lagerungsbehälter auch über lange Zeitstrecken keinen Schaden nehmen und dass auch im Falle eines Austritts keine gefährlichen radioaktiven Stoffe ins Grundwasser gelangen. Eine andere vorgeschlagene Methode ist die Bohrung von Gruben mit einer Tiefe von einigen Kilometern, in denen der Müll vergraben würde.
Bis in die 90er Jahre pflegte man Atommüll auch im Meer zu versenken, in der Annahme, dass der Müll auf dem Grund über Jahrtausende sicher ruhen würde. Obwohl das keine schlechte Methode ist und die Umwelt dadurch viel weniger gefährdet wird, als man annehmen würde, ist sie heute durch internationale Konventionen verboten.
In den USA gab es Pläne für den Bau einer Atommüll-Endlagerstätte im Berg Yucca in Nevada, doch das Projekt wurde nach heftigem öffentlichen Widerstand abgebrochen, und heute wird fast der gesamte Müll für unbegrenzte Zeit in den Kernkraftwerken gelagert. Da die Behälter sehr dauerhaft sind und die gegenwärtige Menge weit unter dem Fassungsvermögen liegt, besteht hier noch kein dringliches Problem, aber zweifellos muss über die Entwicklung sicherer Methoden zum langfristigen Umgang mit dem Müll nachgedacht werden. In der Vergangenheit gab es auch Bedenken gegen die Atommülltransporte zu den Lagerstätten, und viele Städte wollten Lastfahrzeuge oder Züge, die solche Müllbehälter transportierten, nicht in ihrer Nähe vorbeifahren lassen. Doch die Sicherheitsbilanz ist in diesem Zusammenhang sehr positiv, und von irgendwelchen bedeutenden Unfällen oder Lecks bei derartigen Transporten ist nichts bekannt.
In den USA haben sich über die letzten Jahrzehnte etwa 100.000 Tonnen radioaktiven Mülls aus allen Kernkraftwerken und aus der Kernwaffenproduktion angesammelt. Das ist natürlich eine beträchtliche Menge von gefährlichen Stoffen, aber sie ist bedeutend geringer als jene aus anderen Müllquellen. Die Geringfügigkeit dieser Menge erklärt sich daraus, dass bei Kernreaktionen im Vergleich zu chemischen Reaktionen große Energiemengen frei werden, sodass die benötigten Mengen an Kernbrennstoff viel geringer sind.
Der Atommüll ist von Stahl und Beton mit einer Dicke von ca. einem halben Meter ummantelt. Atommüllbehälter | Foto: Wikipedia, Atomaufsichtsbehörde, USA, gemeinfrei
Kernenergiereserven
Schlussendlich stellt sich die Frage, wie groß das Potenzial der Kernenergie ist. Für wie viele Jahre wird sie reichen?
Die Antwort ist überaus komplex. Zunächst kann nur schwer vorausgesagt werden, wie viele Kernkraftwerke in der Zukunft in der Welt in Funktion sein werden und wie hoch ihre Gesamtleistung sein wird, was natürlich ein wichtiger Faktor für die Rechnung ist. Doch wenn immer mehr Kernkraftwerke der heute verbreiteten Typen gebaut werden, dann werden vermutlich die heute verfügbaren Uranreserven innerhalb von weniger als hundert Jahren verbraucht sein.
Der Hauptgrund dafür ist, dass die bestehenden Reaktoren fast ausschließlich das seltene Uran-Isotop Uran-235 verwerten und daher sehr verschwenderisch sind. Darüber hinaus nutzen sie auch das Uran-235 nicht auf besonders effiziente Weise, und ein beträchtlicher Teil davon bleibt als Atommüll zurück. Zudem wird Uran nur auf dem Festland abgebaut, und obwohl es kein seltenes Mineral ist, sind diese Reserven begrenzt. Die Wiederaufbereitung von Uran aus dem Müll und die Verwendung von Plutonium als zusätzlicher Kernbrennstoff werden diese Zeitspanne nicht bedeutend verlängern.
Auch wenn man das Uran nicht wiederaufbereitet, könnte man es in bestehenden Reaktoren besser nutzen, sodass aus der gleichen Menge von Brennstoff mehr Strom gewonnen wird. Allerdings dürfte sich diese Verbesserung nicht auszahlen, weil sie andere Probleme schafft. Insgesamt scheint dieser Weg nicht besonders vielversprechend zu sein.
Indessen kann Uran aus anderen Quellen gewonnen werden, vor Allem aus Meerwasser. Solche Quellen können die Uranreserven stark vergrößern, in einem Umfang, der für Jahrtausende ausreichen würde. Das Problem ist aber, dass diese Abbaumethoden sich noch in der Entwicklungsphase befinden und wahrscheinlich viel kostspieliger sein werden als der heutige Uranabbau. Obwohl die Brennstoffkosten kein zentraler Faktor beim Betrieb von Kernkraftwerken sind, im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftwerken, können sie nicht vernachlässigt werden. Zum Vergleich: Die jährlich abgebaute Menge an Kohle ist ungefähr hunderttausend Mal größer als die im selben Zeitraum abgebaute Menge an Uran.
Ein zusätzlicher Weg wäre der Übergang zu neuen, fortgeschritteneren Kernreaktoren. So können die schnellen Reaktoren nicht nur Atommüll in Brennstoff umwandeln, sondern auch das gesamte Uran nutzen, nicht bloß 0,7 Prozent davon wie die bestehenden Reaktoren. Somit würde ihre breitere Verwendung ausreichende Kernenergiereserven für Jahrtausende gewährleisten. Diese Option steht heute bei der Forschung in Europa im Mittelpunkt, doch es müssen noch viele technische Herausforderungen überwunden werden, ehe solche Reaktoren im großen Maßstab gebaut werden.
Eine weitere vielversprechende Möglichkeit sind Reaktoren, die mit Thorium betrieben werden, dem 90. Element im Periodensystem. Thorium ist etwa drei bis fünf Mal häufiger als Uran und dürfte in den Reaktoren mit hoher Effizienz genutzt werden können, sodass es der Menschheit Energiereserven für Jahrtausende liefern würde. Thoriumreaktoren werden auch viel weniger Müll in der Form von Schwerelementen produzieren, obwohl die davon abgegebene Strahlung nicht unbedingt weniger gefährlich sein wird. Der Müll wird auch andere radioaktive Produkte enthalten, wie das Element Protactinium (91), die in Uranreaktoren kaum vorkommen. Die Hauptgefahr in diesem Müll geht von Spaltprodukten aus, die eine Lagerung für einige hundert Jahre erfordern, aber nicht für Zehntausende von Jahren.
Der Nachteil bei diesen beiden Möglichkeiten ist, dass es sich vorläufig um experimentelle Modelle handelt, für die es wenig Betriebserfahrung gibt, sodass schlecht abgeschätzt werden kann, wie schwierig es sein wird, sie zu bauen, und welche Probleme auftauchen werden. Besonders groß sind die Fragezeichen bei den Thoriumreaktoren, für deren Betrieb viel weniger Erfahrung gesammelt werden konnte als bei den schnellen Reaktoren, sodass der Weg bis zu ihrer Nutzung im großen Maßstab noch lang ist.
Die Technologie der Zukunft? Schneller Reaktor zur Stromproduktion in Russland | Foto: Camilla Vuillermoz, Wikipedia
Die Abwägung: Was sind die Alternativen?
Ist die Kernenergie etwas Positives oder etwas Schädliches? Und soll ihre Nutzung verbreitert oder aber eingeschränkt werden? Das sind keine einfachen Fragen, und es gibt darauf keine einfache Antwort, denn die Antwort ist verknüpft mit den Alternativen für die Energiegewinnung, dem Typ des geplanten Kernkraftwerks, dem Umgang mit dem Müll und vielen weiteren Faktoren. Verschiedene Länder treffen darüber sehr unterschiedliche Entscheidungen. Deutschland plant, seine Kernreaktoren zu schließen und die Nutzung dieser Energiequelle zu beenden, während China Dutzende neue Reaktoren baut und plant.
Die Kernenergie hat wichtige Vorteile, wie die sehr geringe Emission von Treibhausgasen und die langfristigen Reserven bei richtiger Nutzung, und manche der in der öffentlichen Debatte gegen sie erhobenen Argumente sind nicht überzeugend. Aber es darf nicht übersehen werden, dass sie auch bedeutende Nachteile mit sich bringt, wie die hohen Einstandskosten beim Bau eines Kernkraftwerks und die Schwierigkeiten beim Umgang mit dem radioaktiven Müll.
Andererseits hat die Kernenergie bei der Suche nach Alternativen für die umweltverschmutzenden fossilen Brennstoffe einen wichtigen Vorteil gegenüber den meisten mit ihr konkurrierenden Methoden. Bei den meisten Formen der erneuerbaren Energie für die Stromerzeugung, wie der Solar- oder der Windenergie, ist noch nicht erwiesen, dass sie den Energiebedarf der Welt decken können. Bei der Kernenergie hat sich bereits über Jahrzehnte Betriebserfahrung angesammelt, auch Erfahrung aus insgesamt Tausenden von Reaktorbetriebsjahren, sodass man sie nicht abschreiben sollte.