Jedes Leben auf der Erde basiert auf etwa zwanzig Aminosäuren, aus denen die Proteine aufgebaut sind. Warum sind es ausgerechnet diese zwanzig Aminosäuren? Können wir auch aus anderen Aminosäuren Proteine aufbauen?

Aminosäuren sind die Bausteine aller Proteine, die in allen unseren Lebewesen auf unserer Erde vorhanden sind. Einen Teil der Aminosäuren produzieren wir selbst, einen anderen Teil nehmen wir mit unserer Nahrung auf. Diese große Vielfalt an Proteinen jedes Lebewesens wird aus nur zwanzig Aminosäuren erzeugt. 

Es existieren noch zwei zusätzliche Aminosäuren, die manchmal Bausteine von Proteinen sind. Da allerdings ihre Verwendung in der Natur nicht oft  vorkommt, werden wir uns hier nicht mit ihnen beschäftigen, sondern nur mit den zwanzig basischen Aminosäuren, die als „natürliche Aminosäuren“ bezeichnet werden, im Gegensatz zu den anderen Aminosäuren, die wir hier „unnatürliche Aminosäuren“ nennen werden. Warum gibt es keine Lebewesen, bei denen die Proteine aus anderen Aminosäuren aufgebaut sind? Wie kristallisierten sich in der Evolution ausgerechnet diese Aminosäuren heraus? Und gab es in der Vergangenheit andere Aminosäuren, die ausgestorben sind?

Wenn wir über Evolution reden, meinen wir in der Regel, Veränderungen am Erbmaterial (DNA), die eine biologische Art von einer anderen biologischen Art oder sogar eine Generation von einer anderen Generation derselben Art unterscheidet. Die DNA-Sequenz bestimmt wiederum die Sequenz der Aminosäuren, aus dem jedes Protein im Körper besteht, so dass unterschiedliche Lebewesen unterschiedliche Proteine tragen, die sogar zwischen den Eltern und deren Nachkommen Mutationen, d. h. Veränderungen in den Anweisungen zur Anordnung der Aminosäureketten, aufweisen. 

Dieser gesamte Prozess findet in einem engen Rahmen von chemischen Regeln statt. Die elementare Struktur der DNA und der Proteine ändert sich nicht zwischen den Generationen und auch nicht von einem Lebewesen zum anderen. Allerdings existierten diese chemischen Strukturen anfangs wahrscheinlich nicht, sondern entwickelten sich im Laufe der chemischen Evolution, in einem Prozess, der in einer Zeit stattfand, die als präbiotische Ära bezeichnet wird.

In dieser Zeit, vor ungefähr vier Milliarden Jahren, begann nach der Evolutionstheorie das Leben auf der Erde. Und was war vorher – Tohuwabohu? Aus unserer Sicht als Lebewesen ist es tatsächlich mehr oder weniger das, was es damals war. Forscher nennen diese ursprüngliche Umgebung die „Ursuppe“, ein Name, der einen wässrige Umgebung reich an organischen Verbindungen und Mineralien beschreibt. Nach einer heutigen akzeptierten Theorie enthielt diese Ursuppe außerirdische Substanzen, wie Meteoriten oder interstellaren Staub. Unter bestimmten physikalischen Bedingungen bildeten sich spontan die Vorfahren der Aminosäuren und der Proteine, die später die Entwicklung des Lebens, wie wir es kennen, ermöglichten.

Die Ur-Aminosäuren

Aminsäuren sind kleine Moleküle, die aus zwei Bestandteilen aufgebaut sind: einer Carboxylgruppe und einer Gruppe mit einem Stickstoffatom, das als „Amino“ bezeichnet wird. Zwischen den beiden Gruppen befindet sich eine Art Schwanz, der sich von Aminosäure zu Aminosäure unterscheidet und als „Seitenkette“ bekannt ist.

Aminosäure Lysin: Carboxylrest (in rot), Amin (in blau) und die Seitenkette (in grün). Graph: Daniel Seidmann
Aminosäure Lysin: Carboxylrest (in rot), Amin (in blau) und die Seitenkette (in grün). Graph: Daniel Seidmann

Ein Protein ist eine Kette von Aminosäuren, die über eine Peptidbindung miteinander verbunden sind. Diese Verbindung wird am Ribosom hergestellt – ein System, das die Proteine in der Zelle herstellt – zwischen der Aminoseite der einen Aminosäure und der Carboxylseite der anderen Aminosäure. Eine solche Kette wird, bevor sie sich in ein Protein faltet, als Peptid benannt.

Die Verbindungen zwischen den einzelnen Aminosäuren sind in blau gekennzeichnet. Graph: Daniel Seidmann
Peptid aufgebaut aus den Aminosäuren Glyzin, Serin und Valin (von links nach rechts). Die Verbindungen zwischen den einzelnen Aminosäuren sind in blau gekennzeichnet. Graph: Daniel Seidmann

Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Peptide einen Vorfahren hatten, der spontan unter den Bedingungen, die in der Ursuppe herrschten, die damals auf der Erde war, entstanden sind. Dieses Ur-Peptid wird Depsipeptid genannt und unterscheidet sich von den Peptiden, die wir heute kennen in den Bindungen zwischen zwei benachbarten Carboxylenden, die Esterbindungen anstatt Amidbindungen genannt werden.

Depsipeptid Blau: Amidbindung, Grün: Esterbindung. Graph: Daniel Seidmann
Depsipeptid Blau: Amidbindung, Grün: Esterbindung. Graph: Daniel Seidmann

Wie wurden die Aminosäuren ausgewählt?

Eine Studie des israelischen Forschers Moran Frenkel-Pinter aus dem Jahr 2019 konzentrierte sich auf drei Aminosäuren, die eine positive elektrische Ladung in der Seitenkette haben: Lysin, Arginin und Histidin. Diese Aminosäuren wurden mit drei anderen positiv geladenen Aminosäuren, Ornithin (Orn), Dab und Dpr verglichen, die nicht Grundbausteine von Proteinen sind, aber in der Natur verwendet werden. Ornithin z. B. hat eine Aufgabe im Harnsäurezyklus, der beim Menschen und vielen anderen Tieren vorkommt. Diese drei Aminosäuren sind dem Lysin ähnlich, unterscheiden sich allerdings in mindestens einem Atom.

Die drei positiv geladenen natürlichen Aminosäuren im Vergleich zu den drei unnatürlichen Aminosäuren. Graph: Daniel Seidmann
Die drei positiv geladenen natürlichen Aminosäuren im Vergleich zu den drei unnatürlichen Aminosäuren. Graph: Daniel Seidmann

In der Studie wurde versucht, die präbiotischen Bedingungen für die Bildung von Depsipeptiden zu rekonstruieren, um zu erklären, warum die drei natürlichen Aminosäuren im Verlauf der chemischen Evolution ausgewählt wurden und die anderen nicht. Die Forscher konnten zeigten, dass bei der spontanen Bildung unter diesen Bedingungen, die natürlichen Aminosäuren gegenüber den unnatürlichen bevorzugt wurden und dass die Peptidbindung allen anderen Bindungen vorgezogen wurde. Da elektrische Ladungen eine wichtige Rolle bei der Bindung von Proteinen an DNA- und RNA-Moleküle spielen, stellten die Forscher die Hypothese auf, dass die Ur-Peptide für die Bindungsaktionen im Zusammenhang mit den Ur-Molekülen der Erbsubstanz wichtig waren.

„Ich glaube, dass man niemals genau sagen kann, wie sich die Aminosäuren entwickelten und wie sie ausgewählt wurden, aber es ist definitiv möglich die chemischen Prinzipien aufzuklären und zu verstehen.“, sagte Frenkel-Pinter im Interview mit dem Davidson-Institut. Ihr zufolge gab es wahrscheinlich noch mehr Zwischenschritte von der Ur-Molekülen zu den Proteinen von heute. Der Übergang von einer Phase zur anderen beruht auf der Bildung neuer chemischer Komplexe, wie die, die hier gezeigt wurden. „Die allmähliche Erhöhung der Komplexität war wichtig für die Entwicklung von Systemen und Prozessen während der chemischen Evolution“, sagte sie aus.

Frenkel-Pinter beabsichtigt daher, die Chemie des ursprünglichen Lebens weiter zu erforschen und die Komplexität zu erhöhen. „Um die wichtigen Dinge des ursprünglichen Lebens zu entschlüsseln, müssen wir langsam aber sicher, die Komfortzone der einfachen Systeme verlassen und komplexere Systeme betrachten, auch wenn das auf Kosten des tiefen Verständnisses jedes kleinen Details im System geht.“, sagte sie.

Eine Studie aus dem Labor von Dan Tawfik aus dem Weizmann Institut unter der Leitung von Liam M. Longo, die dieses Jahr veröffentlicht wurde, eröffnet die Möglichkeit, dass die Aminosäure Ornithin selbst der Vorfahr der Aminosäure Arginin gewesen sein könnte und auch die erste positiv geladene Aminosäure. Dieser Prozess könnte in der präbiotischen Ära stattgefunden haben, weil Ornithin in einem spontanen Prozess, ohne externe Intervention, zu Arginin werden kann. Diese Studie räumt die Möglichkeit ein, dass Ornithin es den Ur-Proteinen ermöglichte, an DNA- und RNA-Moleküle zu binden. Um diese Hypothese zu beweisen, stellten die Forscher künstliche Proteine im Labor her, bei denen die einzige positiv-geladene Aminosäure Ornithin war, und zeigten, dass dieses Protein tatsächlich an RNA binden konnte.

Aminosäuren der Zukunft

Proteindesign ist ein relativ neues Forschungsgebiet mit einem enormen Anwendungspotential. Künstliche Proteine, die im Labor oder in der Fabrik hergestellt werden, können für eine Vielzahl von Anwendungen verwendet werden wie zur Herstellung von Arzneimitteln, Zucker, neue Substanzen und vieles mehr. Im Gegensatz zu den Proteinen, die im Körper hergestellt werden, können wir bei den künstlichen Proteine ihre Sequenz kontrollieren ohne dass evolutionäre Selektionsprozesse notwendig sind. 

Zusätzlich zur Auswahl der Sequenz haben Forscher Methoden entwickelt, Aminosäuren in Proteine einzubauen, die nicht Teil der zwanzig Aminosäuren sind, die in Lebewesen existieren. Allerdings sind die Methoden komplex und weisen viele Einschränkungen auf. Dazu zählt die Notwendigkeit für jede neue Aminosäure, die in das Protein eingebaut werden soll, ein neues System entwickelt werden muss. Neue Forschungen versuchen, diese Methoden zu verbessern, so dass sie in den kommenden Jahren wahrscheinlich leichter angewendet werden können. Es ist also möglich, dass wir in Zukunft Medikamente einnehmen können, die auf Proteinen basieren, die aus künstlichen Aminosäuren bestehen, die nicht durch die natürliche Evolution entstanden sind.