Trotz Frauendiskriminierung und Rassentrennungsgesetzen hat eine kleine Gruppe von „afroamerikanischen“ Frauen das Unmögliche möglich gemacht. Wir präsentieren die Frauen vom „Westflügel“ der NASA, deren Berechnungen den Menschen in den Himmel und darüber hinaus getragen haben.

Eine der großen Errungenschaften der Menschheit im 20. Jahrhundert war die Überwindung der Barriere zum Weltall. Bereits in den 40er Jahren, am Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs, begannen die USA, Forschungsarbeiten voranzutreiben, deren Zweck es war, Menschen in eine Erdumlaufbahn und in weiterer Folge auch zu anderen Zielen im Sonnensystem zu schicken. Die USA und die Sowjetunion waren bestrebt, einander in diesem Wettlauf ins All zuvorzukommen, der eines der hervorstechenden Merkmale des Kalten Krieges war.

Eine der unglaublichen Geschichten, die erst in den letzten Jahren ans Licht gekommen sind, betrifft die Beteiligung von schwarzamerikanischen Frauen am Wettlauf ins All, der für sie auch einen Wettlauf gegen den Konservatismus, die Frauendiskriminierung und die Rassentrennungsgesetze darstellte, die in den USA bis in die 60er Jahre hinein verbreitet waren.

Die Geschichte beginnt lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Schon 1915 gründeten die USA eine nationale Luftfahrt-Agentur, NACA, die 1958 in die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA umgewandelt wurde. Das war die „prähistorische Zeit“ des Wettlaufs ins All, und die NACA konzentrierte sich auf den Bau von Prototypen von Raketen und Fluggeräten. 1917 gründete die NACA in Virginia das Langley-Laboratorium, das sich hauptsächlich auf aeronautische Forschung konzentrierte, aber 1945 seine Tätigkeit auch auf die Weltraumforschung ausweitete. Diese Forschungsarbeiten trugen viel zum Mercury-Programm bei, dessen Ziel es war, den ersten Menschen in eine Erdumlaufbahn zu bringen.

Eine Insel der Offenheit

In den 30er und 40 Jahren standen Frauen in den USA nicht viele Möglichkeiten zur Beschäftigung in der Wissenschaft offen. Schwarze Frauen hatten noch weniger Chancen. Doch die NACA agierte für jene Zeit relativ offen und liberal und beschäftigte jede Person, die befähigt und geeignet war, einschließlich Frauen. 

Schon 1935 begann das Langley-Laboratorium, Frauen als „Rechnerinnen“ („Computers“) anzustellen, entsprechend den elektronischen Computern unserer Tage. Die Jobbeschreibung entsprach genau dem, was heute Computer machen – Verarbeitungen und mathematische Berechnungen von Flugbahnen sowie die Analyse von Daten, hauptsächlich jenen, die bei den Experimenten in den Windkanälen des Langley-Laboratoriums gesammelt wurden. Diese Frauen hatten höhere akademische Grade erworben, und statt sich wie viele ihrer Studienkolleginnen der Lehre zuzuwenden, wurden sie von der NACA aufgenommen. 

Die scheinbar stille, aber in jenen Tagen weltbewegende Revolution begann 1943. Der Arbeitskräftemangel während des Zweiten Weltkriegs bewog den US-Präsidenten Franklin Roosevelt, im Jahr 1941 die Durchführungsverordnung 8802 zu verlautbaren, die Beschäftigungsgleichheit in den Rüstungsindustrien verfügte. Das war die erste derartige Verordnung in den USA, wenn es auch noch kein offizielles föderales Gesetz war. Eine der ersten schwarzen Frauen, die von der NACA rekrutiert wurden, war Dorothy Vaughan aus Kansas City. Gemeinsam mit weiteren schwarzen Frauen wurde sie in einen separaten Flügel in Langley eingegliedert, der „West Area Computing Unit“ („Westliche Recheneinheit“)  genannt wurde. 

Obwohl die Rechenarbeit von Vaughan und ihren Kolleginnen für Langley von großer Bedeutung war, verlangten die Rassentrennungsgesetze der USA, bekannt als „Jim Crow-Gesetze“, die Segregation zwischen den Rechnerinnen und den weißen Wissenschaftlern in Langley. Sie wurden zum Essen in separate Kantinen geschickt und mussten separate Toiletten benutzen. Die Distanz zwischen dem „Westflügel“ und dem Arbeitsplatz der weißen Rechnerinnen betrug fast eineinhalb Kilometer.

Als 1949 die weiße Wissenschaftlerin, die den Westflügel leitete, starb, übernahm Vaughan inoffiziell die Leitung. So wurde sie zur ersten schwarzen Person, die bei der NACA eine relativ hohe Führungsposition erreichte.

Das Talent von Katherine Johnson

Jene Frau, deren Namen am stärksten mit der Einheit der schwarzen Rechnerinnen verbunden wird, war Katherine Johnson aus West Virginia. Schon als Kind zeigte sie großes Talent für Zahlen und pflegte obsessiv alles zu zählen, was ihr über den Weg lief. Sie schloss schon mit 14 die Mittelschule ab und nahm im Jahr darauf in West Virginia ein College-Studium auf. Danach wurde sie als eine der drei ersten schwarzen Personen ausgewählt, die an der University of Virginia studieren durften. Doch trotz ihres außergewöhnlichen mathematischen Talents begann sie ihre Berufslaufbahn als Lehrerin. 

1953 hörte Johnson von einer freien Stelle im Langley-Laboratorium, unter der Leitung von Vaughan, und wurde dem Westflügel zugeteilt. Sehr rasch stach sie dort durch ihre analytischen Fähigkeiten hervor. Darüber hinaus bewies sie Durchsetzungsvermögen und bestand darauf, an den Gruppensitzungen der leitenden Techniker und Wissenschaftler teilzunehmen. 1958, als die NACA in die NASA umgewandelt wurde und das Mercury-Programm begann, war Johnson bereits ein vollwertiges Mitglied der Projektgruppe. Sie war nicht nur die einzige Schwarze in der Gruppe, sondern auch die einzige Frau.

Das Mercury-Programm begann mit einer Reihe von unbemannten Flügen und schritt  nach und nach so weit voran, dass Tiere und am Ende auch Menschen ins All befördert werden konnten. 1961 errechnete Johnson manuell die Flugbahn von Alan Shepard, dem zweiten Mann (nach dem Russen Juri Gagarin) und ersten Amerikaner im All. Das war die Mission Mercury 3, die bei der NASA die Ära der bemannten Raumflüge einleitete. 

Johnson bei der Zeremonie der Überreichung der Freiheitsmedaille des Präsidenten der USA. Oben: zur Zeit ihrer Arbeit bei der Raumfahrtbehörde | Fotos: NASA

Im Jahr 1962 stand John Glenn vor der Mission Mercury 6, die erstmals eine vollständige Erdumkreisung vorsah (eigentlich drei Umkreisungen). Das war auch das erste Mal, dass die Berechnung des Fluges durch Elektronenrechner durchgeführt wurde, doch Glenn misstraute der neuen Technologie und weigerte sich, die Rakete zu besteigen. Er verlangte, dass Johnson die Flugbahn selbst berechnen und sich vergewissern sollte, dass die Computer keinen Fehler gemacht hatten. Erst nachdem Johnson die Berechnung verifiziert hatte, gab Glenn seine Zustimmung zum Start. „Wenn sie sagt, dass es in Ordnung ist, bin ich bereit“, sagte er. 

Johnson arbeitete noch drei Jahrzehnte bei der NASA und war unter anderem an der Berechnung der Flugbahnen von Apollo 11 und Apollo 13 beteiligt, diesmal mit digitalen Geräten. Vaughan, ihre frühere Chefin, schied 1971 aus der NASA aus, und 15 Jahre später trat Johnson in den Ruhestand. 2015 schloss Barack Obama, der erste schwarze Präsident, einen historischen Kreis, als er der 97-jährigen Johnson die Freiheitsmedaille verlieh – die höchste zivile Auszeichnung der USA.

Die Geschichte von Vaughan, Johnson und anderen Frauen an ihrer Seite wurde in dem Buch „Hidden Figures“ der amerikanischen Autorin Margot Lee Shetterly verewigt und zu einem erfolgreichen gleichnamigen Film verarbeitet. Sein deutscher Titel ist „Unerkannte Heldinnen“.

Hier ist ein Video der NASA (englisch) über die Geschichte von Johnson und ihrem Beitrag zum Raumfahrtprojekt: