Die komplizierte Wasseruhr, die an sich schon ein Kunstwerk war; die Pumpe, die die Kurbelwelle erfand; und das Musikboot, das die Ankunft der Roboter ankündigte. Die wegweisenden Werke von Al-Dschazarī, des genialen islamischen Ingenieurs aus dem 12. Jahrhundert.

Vor etwa sechs Jahren stieß ich fast zufällig auf einen beispiellosen Fund: ein altes Buch, dessen Original aus dem 12. Jahrhundert stammt und kreative und raffinierte mechanische Erfindungen enthält. Es gab da von allem: Uhren aller Art, die mit Wasser oder mit Kerzen angetrieben werden, Springbrunnen, Wasserpumpen, Becken und Urnen zum Waschen oder zum Aderlassen, und sogar Spielzeuge zur Unterhaltung. Außerdem gab es dort Skizzen zur Eingangstür des Palastes von Diyarbakır, einem Schloss, das komplizierte Systeme wie die Mehrfachbolzen ähnelt, und ein geometrisches Gerät, mit dem man den Mittelpunkt des Kreises findet.

Hinter dem prachtvollen Werk "Das Buch des Wissens von sinnreichen mechanischen Vorrichtungen" versteckt sich der islamische Gelehrte Badi az-Zaman Abul-Izz ibn Ismail ibn ar-Razzaz al-Dschazarī (  بديع الزمان ابو العز بن إسماعيل بن الرزاز الجزاري), der, soweit wir wissen, in den Jahren 1136-1206 in Diyarbakır im Südosten der Türkei lebte. Es beinhaltet wunderschöne Zeichnungen mit detaillierten Erklärungen von fünfzig der mechanischen Geräte, die der Erfinder, der Maschinenbauingenieur und Künstler Al-Dschazarī, baute.

Leider wissen wir nichts über Al-Dschazarī außer dem, was in seinen Texten und Zeichnungen steht – aber seine Maschinen zeichnen ein reichhaltiges Bild nicht nur über seinen Beruf als Ingenieur, sondern auch über seine Persönlichkeit. In den letzten sechs Jahren habe ich eine atemberaubende Kulturreise ins 12. Jahrhundert gemacht, seinen Maschinen folgend, und ihren Platz in der technologischen Entwicklung erlebt, bis ich die letzte Maschine erreichte. Ich habe drei davon ausgewählt, um euch den Mann und sein Werk näherzubringen.

Die Elefantenuhr, Kopie aus dem Jahr 1315, Syrien. Quelle: Science Photo Library
Gilt als berühmteste Erfindung von Al-Dschazarī. Die Elefantenuhr, Kopie aus dem Jahr 1315, Syrien. Quelle: Science Photo Library

 

Die Elefantenuhr: Feine und präzise Mechanik

Stellt euch einen kupfernen Elefanten vor, der einen Baldachin auf dem Rücken trägt, und auf diesem Baldachin steht eine Burg mit einem Balkon, und auf dem Dach darüber ein Vogel. An den Säulen des Schlosses hängen zwei Drachen mit geöffnetem Rachen, und auf dem Balkon sitzt ein Falkner (der Falken dressiert), dessen Hände auf den Köpfen zweier Falken liegen und – so sieht es jedenfalls aus – sie daran hindert, ihre Schnäbel zu öffnen. Im Baldachin sitzt ein Schriftsteller-Abschreiber, der eine Feder in der Hand hält, die auf einen Stab mit einer Skala zeigt. Die Feder bewegt sich entlang des Stabes und zeigt die verstrichenen Minuten an, und nach einer halben Stunde kehrt er zum Ausgangspunkt zurück.

Die Elefantenuhr ist zweifellos das bekannteste aller Werke von Al-Dschazarī. Sie wurde nachgebildet und in Museen ausgestellt, zum Beispiel im Ibn-Battuta-Einkaufszentrum von Dubai, und sogar eine LEGO-Nachbildung gibt es. Das Herzstück des Mechanismus, der die Uhr antreibt, ist ein verstecktes Wasserreservoir im Bauch des Elefanten, in dem eine perforierte Boje eine halbe Stunde lang langsam sinkt und die Feder mit gleichmäßiger Geschwindigkeit bewegt. Am Ende jeder halben Stunde verbinden sich alle Elemente zu einem Spektakel: Der Vogel auf dem Dach macht eine Drehung um die eigene Achse, der Falkner hebt seine rechte Hand (und in der nächsten halben Stunde die linke) und befreit den Falken, aus dessen Schnabel eine Kugel in den Rachen des Drachen rollt.

Die Bewegung hält hier nicht an. Das Gewicht des Balles bewirkt, dass der Drache sich um seine Achse dreht und die versunkene Boje wieder hinaufzieht. Danach wirft er den Ball auf zwei Paarbecken, die in einem Krug liegen, in dem ihr Klang widerhallt. Der Ball setzt seinen Weg fort und bringt den Mahut in Bewegung – den Elefantenreiter, der den Elefanten schlägt, zuerst mit einem Beil und dann mit einem Streitkolben. Über des Falkners Kopf befindet sich ein Bogen mit Glaskugeln, die während der Stunden allmählich weiß werden und die Zeit seit Sonnenaufgang anzeigen.  

Hier ist ein Video, das die Handlung der Uhr veranschaulicht:

Wie viele von Al-Dschazarīs Werken basiert die Elefantenuhr auf Feinmechanik, ein Begriff, der eine Reihe sehr verschiedener Maschinen betrifft: Wasseruhren, Roboter, astronomische Instrumente und mehr. Einige dienen dazu, die Zeit zu messen oder bei anderen wissenschaftlichen Messungen behilflich zu sein, andere zur Unterhaltung und zum Vergnügen. Allen diesen Geräten gemeinsam sind die beträchtlichen technischen Fähigkeiten, die für ihre Konstruktion nötig waren, und die feine Verwendung der Mechanismen und Steuersystemen.

Die Elefantenuhr ist ein wunderbares Beispiel für Feinmechanik. Sie misst die Zeit mit einer Genauigkeit von vier Minuten, verbindet vier oder fünf Mechanismen, die perfekt synchronisieren, nützt die Gravitationskraft aus für die Kugeln, die Boje, die Paarbecken, und den Mahut. Ist dies die Erklärung für die Faszination, die die Elefantenuhr seit jeher auf die Menschen ausübt?

Ich denke, die Antwort liegt woanders. Al-Dschazarī ist ein Dichter der Technik. Poesie ist eine Kunstform, die die ästhetischen Eigenschaften der Sprache zusätzlich – oder anstatt – ihrer wörtlichen Bedeutung benutzt. Diese Nutzung kann sich in kurzen Zeilen, im Metrum, im Reim, und in anderen Elementen ausdrücken, die in Sachbüchern und in der Prosa nicht üblich sind. Man kann auch behaupten, dass die Poetik die Summe der Tricks ist, die jedes Kunstwerk charakterisiert, eine Art innere Sprache des Mediums, die sich in erster Linie auf sich selbst bezieht.  

Man kann auch über die Poetik des Malers, des Musikers sprechen, und auch die des Ingenieurs. Der Charme der Elefantenuhr liegt nicht nur in seiner technischen Genialität, mit der die Zeit genauestens gemessen werden kann oder der perfekten Synchronisierung der Maschinenelemente, sondern auch in der Art und Weise, wie Al-Dschazarī die Wege gewählt hat, die mechanischen Möglichkeiten zu nutzen, um eine faszinierende Welt von Metaphern zu bilden und aus einem Gerät zur Messung der Zeit ein farbiges und brillantes Spektakel zu machen.

 

Die Wasserradpumpe, Kopie aus dem Jahr 1315, Syrien. Quelle: Science Photo Library
Eine Erfindung, die mindestens drei Patente wert war. Die Wasserradpumpe, Kopie aus dem Jahr 1315, Syrien. Quelle: Science Photo Library

 

Das Wasserrad: Eine Pumpe mit Wendung

Das fünfte Kapitel des Buches ist Maschinen gewidmet, die Wasser aus Becken, seichten Brunnen und Flüssen fördern. Eine der herausragendsten Werke ist die Wasserradpumpe, die das Kapitel abschließt.

Al-Dschazarī ist vielen durch seine exotischen und überraschenden Uhren bekannt, wie die Elefantenuhr, die Burguhr oder die Pfauenuhr, und auch durch seine komplexen Roboter. Aber die Pumpen, die er entwickelte, deuten darauf hin, dass er sich auch mit der Suche nach Lösungen für die tatsächliche Not der Menschen um ihn herum beschäftigte. Das Pumpen von Trinkwasser, die landwirtschaftliche Bewässerung, die Behebung von Hochwasser und das Löschen von Bränden ist für jede Gesellschaft unerlässlich.

Die häufigsten Pumpen in der islamischen Welt des 12. Jahrhunderts waren der Kilon oder Shaduf (شادوف) und die Sakiya (ساقية‎‎). Beide waren eine Nachahmung der menschlichen Handlung, nämlich des Eintauchens eines Kruges in ein Wasserreservoir, und sparten Arbeit und Mühe. Aber die Wasserradpumpe ist etwas Anderes: Dies ist ein technischer Durchbruch, der nicht die menschliche Handlung nachahmt. Man kann in ihr die Erweiterung und Entwicklung der Kolbenpumpe des Mathematikers und Erfinders Ktesibios (Κτησίβιο) sehen, der schon im dritten Jahrhundert vor Christus im goldenen Zeitalter des ptolemäischen Alexandria lebte.

Al-Dschazarīs Wasserrad taucht teilweise in den Fluss und dreht sich durch die Energie, die der Fluss erzeugt. Die Pumpe basiert auf einem "Schienenkurbelmechanismus", die die Drehbewegung in lineare Bewegung und umgekehrt verwandelt. Auch heute ist dies ein wesentlicher Bestandteil von Motoren und Pumpen. In der Pumpe wird die Drehbewegung in eine Bewegung nach rechts und links einer Stange, die an beiden Enden an Kolben befestigt ist, umgewandelt, sodass sie den einen Kolben zieht und den anderen schiebt.

Drei hauptsächliche Neuerungen hat Al-Dschazarī in seiner Pumpe zum Ausdruck gebracht, und jede von ihnen hätte heute ein Patent gerechtfertigt. Erstens besteht der große Vorteil der manuellen Ktesibios-Pumpe darin, dass sie keinen Bediener benötigt und stattdessen die Energie aus dem Fluss verwendet. Dies ist ein großer Vorteil für Trink- und Bewässerungswasserpumpen. Die zweite Neuerung ist, wie bereits erwähnt, der Kurbelmechanismus in der Schiene, die Al-Dschazarī als erster entwickelte und auch heute noch ohne wesentliche Änderungen so benutzt wird. Und drittens, anders als bisherige Pumpen wie die Ktesibios-Pumpe, muss sie nicht ins Wasser tauchen um zu funktionieren. Stattdessen ist sie mit Saugrohren ausgestattet, die es ihr ermöglichen, auch über dem Flussniveau gut zu funktionieren.

Al-Dschazarī war seiner Zeit auch als Wissenschaftler voraus, was den Wissensaustausch anbelangt. Er meldete keine Patente an, nicht nur, weil das erste Patentgesetz in Venedig erst im 15. Jahrhundert geschrieben wurde, 300 Jahre nach seiner Zeit, sondern auch, weil die Wahrung der Urheberrechte seiner Weltanschauung widersprach:

"In diesen fünf Kapiteln habe ich die Ursprünge meiner Arbeit beschrieben, die viele Bereiche betrifft und sehr nützlich ist. Wer meine Erklärungen versteht, wird daraus viele zusätzliche Dinge herstellen können. Ich habe viele Geräte, die ich erfunden habe, nicht erwähnt, da ich keine Unklarheit oder Verwirrung erzeugen wollte. In den Dingen, die ich erwähnte, ist viel Wissen, für jeden, der sich nach Wissen sehnt, und dieser wird davon profitieren."

Es ist klar aus diesen Worten, dass Al-Dschazarī sein Wissen teilen wollte. In dieser Hinsicht gleicht er einem Zauberkünstler, der den Schwur der Zauberer bricht und das geheime Wissen mit den Menschen teilt.

 

Das musikalische Boot. Topkapi-Kopie, 1206. Quelle: Science Photo Library
Das musikalische Boot. Topkapi-Kopie, 1206. Quelle: Science Photo Library

 

Das musikalische Boot: ein Roboter zum Vergnügen

Unter den zehn Robotern und den Instrumenten, die Al-Dschazarī erfand und baute, um die Gäste bei den Festgelagen im Palast von Diyarbakır zu unterhalten, befindet sich das musikalische Boot. Es ist ein schönes Holzboot, in dem ein König, ein Becherträger (ein Sklave, dessen Aufgabe es ist, des Königs Becher zu halten), Gäste, ein bewaffneter Leibwächter und vier musizierende Sklavinnen stehen; zwei Trommlerinnen, eine Flötistin und eine Harfenistin. Der König und die Figuren um ihn herum sind unbewegliche Figuren aus Pappmaché. Die Sklavinnen sind aus Kupfer, und an ihrem Arm ist ein bewegliches Gelenk.

Das Boot schaukelt gemächlich auf dem Wasser des Palastbeckens. Jede halbe Stunde gibt es eine Überraschung: Ohne äußeres Einwirken beginnt eine musikalische Darbietung; die Flötistin flötet, die Trommlerinnen trommeln, und die Harfenistin bringt die kupfernen Saiten zum Schwimmen.

Ein tonloses Video des musikalischen Bootes. Die Mechanik beginnt nach 50 Sekunden:

Wie funktioniert das? Die auf den Instrumenten spielenden Sklavinnen sitzen auf einem Wasserbehälter, der sich langsam in einen zusätzlichen Behälter entleert. Jede halbe Stunde, etwa, füllt sich der zweite Behälter, senkt sich und gießt sein Wasser in ein Löffelrad, das sich um eine Achse dreht. Die Achse dreht Stangen, die senkrecht zu ihr stehen, und mit ihrer Bewegung schieben diese Kräne, also ein Hebewerk, die die Arme der Musikerinnen bewegen. Das Wasser im Becken rinnt in ein leeres Becken und schieben dort Luft in ein Rohr, das mit der Flötistin verbunden ist, und an dessen Ende eine Pfeife befestigt ist, und so ertönt auch die Flöte.

Die Stäbe und Kräne sind eine frühe Version der Nockenwelle, die die Drehbewegung in eine lineare Bewegung umwandelt. Die Anzahl der Stäbe auf der Achse und die Entfernung zwischen ihnen bilden das Muster des Trommelschlages. Der Informatiker Noel Sharkey sieht im einzigartigen Mechanismus, den Al-Dschazarī für die Trommler entwickelte, die Urform des programmbierbaren Roboters.

Um eine von uns gebaute Maschine als Roboter zu bezeichnen, müssen wir zwei Fragen beantworten: Kann er programmiert werden? Also: Kann er verschieden Tätigkeiten nach unserer Wahl ausüben? Und: Ist er autonom? Also: Kann er selbst entscheiden, welche Tätigkeit und in welchem Umfang er ausübt?

Die Frage, was die erste programmierbare Maschine war, ist eine ziemlich theoretische Frage, denn die Antwort hängt von der Definition des Begriffes "programmierbar" ab, aber das musikalische Boot ist zweifelsohne ein Spitzenkandidat. Sharkey baute ein Modell eines einzelnen der Trommlerinnen aus dem musikalischen Boot, um zu zeigen, wie sie programmierbar sein könnte. Das Herz des Mechanismus ist ein sich drehender Zylinder mit Stangen, genau wie es Al-Dschazarī entworfen hat, die auf die Kräne drücken, mit denen die Trommel betätigt wird. Das Modell zeigt tatsächlich, dass man verschiedene Rhythmen und Schlagzeugmuster spielen kann, wenn man die Betätigungsstangen bewegt.

Hat Al-Dschazarī das musikalische Boot programmiert? Das werden wir nie wissen. Es ist anzunehmen, dass er einige Versuche machte, während er das Boot entwickelte, um einen Rhythmus zu erhalten, der ihm gefiel. Einmal abgesehen davon, ob das Programmierpotenzial verwirklicht wurde, gibt das musikalische Boot ein sehr frühes Beispiel für diese Möglichkeit. Die Autonomiefrage wird noch 800 Jahre warten müssen, bis die Ingenieure über Detektoren und Computersysteme verfügen.

Eine Maschine zum automatischen Weineinschenken. Kopie von 1315, Syrien. Quelle: Wikipedia
Eine Maschine zum automatischen Weineinschenken. Kopie von 1315, Syrien. Quelle: Wikipedia

 

Epilog

Der Orientalist und Gelehrte Donald Hill, der die Technologie des Mittelalters erforschte, schrieb: "Man kann die herausragende Bedeutung von Al-Dschazarīs Arbeit in der Geschichte des Ingenieurwesens gar nicht übertreiben. Bis in die Neuzeit hinein gibt es kein anderes Dokument, aus irgendeiner Kultur, das eine vergleichbare Fülle von Anweisungen die Planung, Herstellung und Zusammensetzung von Maschinen bietet […] Al-Dschazarī hat nicht nur die Techniken seiner arabischen und nichtarabischen Vorgänger übernommen, sondern war auch kreativ. Er fügte mehrere mechanische und hydraulische Geräte hinzu. Der Einfluss dieser Erfindungen zeigt sich später in der Planung der Dampfmaschinen und der Verbrennungsmotoren, die den Weg für die automatische Steuerung und für andere moderne Maschinen ebneten. Die Auswirkung von Al-Dschazarīs Erfindungen ist noch immer im modernen zeitgenössischen Maschinenbau spürbar." (Hill, 1998: II, p. 231-2)

Ich hoffe, dass die hier beschriebenen drei Maschinen etwas von Hills Begeisterung erklären, und vielleicht wird es euch dazu verleiten, mehr über Al-Dschazarī zu lesen, den Mann, der die Mechanik zu einer Kunst machte.