Das menschliche Auge ist ein wunderbares Organ. Es erlaubt uns, die Welt aus der Ferne und aus der Nähe in hervorragender Qualität zu sehen, in spektakulären Farben und in drei Dimensionen. Dank der großartigen Fähigkeiten des Auges wurde das Sehen der dominante unter den Sinnen, mit denen wir die Welt wahrnehmen.
Entsprechend seiner Stellung als führendes Sinnesorgan im menschlichen Körper genießt das Auge einen mehrstufigen Schutz zu dem einzigen Zweck, es vor jeder Schädigung zu bewahren. An erster Stelle in diesem Schutzsystem rangiert die Augenhöhle, die es vor schweren mechanischen Schädigungen abschirmt. Gleich danach kommt das Augenlid, das sich als Reaktion auf jede Gefahr einer Verletzung oder des Eindringens eines Fremdkörpers in das Auge schließt. Die dritte und letzte Komponente im Schutzsystem des Auges ist wohl die erstaunlichste und interessanteste: die Tränen.
Eine tiefergehende Analyse erschließt die chemische Komplexität, die den Tränen jene Effizienz verleiht, die man von der letzten Abwehrbarriere des Auges erwartet. Bei noch genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Tränen viel mehr sind als bloß eine Schutzschicht – von ihrer Zusammensetzung und Funktion her sind nicht alle Tränen gleich, und oft dienen sie als Instrument zur Übermittlung von offenen oder verborgenen sozialen und chemischen Botschaften zwischen Menschen.
Jedes Auge hat eine Tränendrüse (glandula lacrimalis), die kontinuierlich neue Tränen produziert, während die alten Tränen über zwei Öffnungen, die Tränenpunkte (puncta lacrimalia), abgeleitet werden. Man kann eigentlich sagen, dass das Auge ständig ein bisschen tränt. Die Tränen fließen zwar nicht in einem fortgesetzten Strom, aber auch wenn wir von jenen Tränen absehen, die beim Weinen über die Wangen fließen, produzieren wir jährlich rund 120 Liter Tränenflüssigkeit.
Die kontinuierlich produzierten Tränen, die sogenannten basalen Tränen, spüren wir gewöhnlich nicht. Sie sind aus drei Schichten zusammengesetzt. Die erste ist eine schleimige Schicht. Darüber liegt eine wässrige Schicht, die das Auge feucht hält und reich an Enzymen und antibakteriellen Substanzen ist, welche Bakterien abstoßen und abtöten. Die letzte ist eine Lipidschicht, oder Fettschicht, die die Augenoberfläche glatt hält, damit wir scharf sehen können, und wie eine Art Abdeckung wirkt, die verhindert, dass die beiden unteren Schichten verdunsten.
Reflextränen und emotionale Tränen
Die Tränen, deren wir uns eher bewusst sind, sind die Reflextränen und die emotionalen Tränen. Die Reflextränen sind ein Spülmechanismus des Auges und werden als Reaktion auf das drohende Eindringen eines fremden oder gefährlichen Körpers sekretiert. In einer Alarmsituation, wenn gefährliche chemische Substanzen, schädliche Mikroorganismen oder feste Teilchen ins Auge eindringen könnten, sondern die Drüsen große Mengen an Reflextränen ab. In solchen Situationen, etwa als Reaktion auf das von Zwiebeln abgegebene Gas, können wir plötzlich mit tränenden Augen und nassen Wangen dastehen.
Warum müssen wir beim Zwiebelschneiden weinen? Produziert von Bytesize Science
Die dritte und wohl faszinierendste Sorte sind die emotionalen Tränen. Unsere Tränendrüsen sondern sie in großen Mengen als Reaktion auf bestimmte Gemütszustände ab. Sie können unter dem Effekt von Druck, Anspannung, Zorn, Trauer oder Hilflosigkeit zu fließen beginnen. Soziologen zufolge sind diese Tränen ein sozialer Verhaltensmechanismus, mit dem die Empathie der anderen Gruppenmitglieder gewonnen werden soll und der dem seelischen Zustand des Einzelnen Ausdruck verleiht. Doch seit einigen Jahren werden immer mehr Belege für die These entdeckt, dass die Tränen ein physiologisches und chemisches Instrument sind, das dem Einzelnen helfen soll, mit seinem eigenen Gemütszustand umzugehen.
Einige Forschungsarbeiten haben ergeben, dass emotionale Tränen, die als Reaktion auf einen schlechten Gemütszustand wie Druck, Angst oder Trauer auftraten, besonders hohe Konzentrationen von Giftstoffen und Hormonen aufwiesen, die als Stresshormone bekannt sind. Manche behaupten, dass diese Tränen Teil eines Mechanismus sind, der einer raschen Ausscheidung dieser Stoffe und so der Verbesserung des seelischen Zustands dient. Die hohe Magnesiumkonzentration in den Tränen, im Verein mit der Freisetzung natürlicher schmerzlindernder Stoffe, stützt diese These, weil eine niedrige Magnesiumkonzentration im Körper und das Vorhandensein von schmerzlindernden Stoffen tatsächlich zur Verbesserung des Gemütszustands beitragen.
Prof. Noam Sobel von der Abteilung für Neurobiologie des Weizmann-Instituts entdeckte ein weiteres Element in der Funktion der Tränen: Durch sie werden an die Umgebung chemische Signale übertragen, die das Verhalten von Menschen in unserer Gesellschaft beeinflussen.
Die Ästhetik der Tränen
Da wir alle kontinuierlich basale Tränen absondern, und von Zeit zu Zeit auch Reflex- und emotionale Tränen, fasziniert das Thema der Tränen viele Menschen und wurde zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und sogar zum Ausgangspunkt von Kunstwerken - etwa im Smithsonian-Museum in einer Ausstellung der Fotografin Rose-Lynn Fisher, die Tränen sammelte, die aus unterschiedlichen Gründen vergossen worden waren, sie trocknete und sie dann unter dem Mikroskop fotografierte.
Das erste Bild zeigt eine Träne, die von einem bewegenden Treffen nach langer Trennung herrührte; das zweite ergab sich aus den Schwierigkeiten einer Veränderung; danach gibt es eine Träne von einem Ende, eine vom Zwiebelschneiden, eine Träne der Trauer und auch basale Tränen, und zum Schluss Freudentränen. Da die verschiedenen Tränen unterschiedliche Substanzen in unterschiedlichen Konzentrationen enthalten, entsteht eine wunderschöne Vielfalt von Strukturen.
Und noch eins: Denkst du, dass man im All weinen kann? Gucke dir den kanadischen Astronauten Chris Hadfield an, der Wasser verwendet, um Weinen in einer Weltraumstation zu simulieren.